Pech
Nina Bußmann

Ein schwarzer Rest, den man nicht los wird, mit bläulichem Glanz. Was abfällt oder anfällt, zufällig an der Feuerstelle veraschte Klumpen oder gewolltes Destillat, was übrig bleibt, wenn man tote Birkenrinden verschwelen lässt, eine Leiter unterquert oder im Haus einen Schirm aufspannt. Wenn man einem Kind Haare und Nägel schneidet, bevor es ein Jahr alt ist. Wenn man in der Nacht pfeift oder einer Braut ein Messer schenkt, an einer Schafherde zur Rechten vorbeigeht oder einen Spiegel zerbricht.

Dichtend, klebend, schmierend, desinfizierend, zähflüssig wie Vogelleim ist das Pech und darum brauchbar. Um ein Schiff aus Zypressenholz zu versiegeln an Deck und Außenhaut, damit es nicht sinkt, unter gar keinen Umständen sinkt, damit es von allen Wesen aus Fleisch wenigstens je zwei vor einer kommenden Flut retten kann, von allem, was lebt, je zwei, von allen Arten der Vögel, von allen Arten des Viehs, von allen Arten der Kriechtiere auf dem Erdboden.

Und dazu brauchen die Menschen das Pech: Um ein aus Schilfrohr geflochtenes Körbchen zu verkleben, damit es schwimmt, damit ein Kind, das sich nicht länger verbergen lässt, darin den Fluss hinunter treiben kann. Um Lehmziegel zu verkitten, um einen Turm zu bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen, damit wir nicht zerstreut werden in alle Länder und niemand mehr von uns spricht.

Einen Mann damit bepinseln, wenn er nicht ehrlich gewesen ist, wenn er mit falschen Karten gespielt hat, so dass wir ihn über und über mit den Federn gerupfter Hühnchen bekleben und vor aller Augen geteert und gefedert herumführen können. Ein Mädchen damit überschütten, wenn es in den Brunnen gefallen ist, wenn es sich in seiner Gier nach Gold in den Brunnen gestürzt hat oder von seiner gierigen Mutter in den Brunnen gestoßen worden ist. Wenn es Prüfungen zu bestehen hatte und alles verkehrt gemacht hat, wenn es sich geweigert hat, einer Nixe das Haar zu entwirren, verkohltes Brot aus dem Ofen zu holen, einer Alten mit großen Zähnen die Betten aufzuschütteln, dass die Federn fliegen. Wenn es seinen Hunger nicht bezähmen konnte und, vor die Wahl gestellt, immer das Schönere haben wollte, den größeren Kuchen, das weiße Zimmer, die Tür aus Gold. Dann muss ein großer Kessel voll Pech über der schmutzigen Jungfrau ausgeschüttet werden, dass es fest an ihr hängen bleibt und nicht abgehen will, solange sie lebt.

Natürlich wollen wir wie die gute Tochter sein, ohne Faulheit und Launen und Selbstsucht und Missgunst, damit uns zum Lohn für unsere Demut Perlen aus dem Mund fallen und das Gold nur so auf uns herabregnet. Aber wie man das macht, wissen wir nicht, das hat bis heute niemand herausgefunden, wir wissen nur, wie man Pech herstellt, aus Hitze und Holzabfall. Es macht viel Arbeit. Im Eintopf- oder Doppeltopfverfahren, in einem stunden- oder besser tagelangen Schwelbrand, an den keine Luft kommen darf, dabei kann viel schiefgehen, aber das werden Sie wissen, wenn Sie es auch schon einmal in ihrem Garten versucht haben. Wenn Sie auch schon einmal einen Doppeltopf mit Birkenrinden gefüllt, unter der Erde verscharrt und ein Feuer darüber entfacht haben, mindestens einen ganzen Tag lang gewartet und aufgepasst haben, dass nichts den Bindungsbruch stört, bis Sie das Gefäß ausgraben dürfen und mit Glück und Geschick gelber Rauch aufsteigt und ein sanfter Geruch nach Schwefel.

Es ist etwas wert, es lässt sich gebrauchen, man kann damit Töpfe flicken, Fallen stellen und Schrunden schließen. Es lässt sich leicht schmelzen und mit den Fingern kneten, wenn es warm ist. Bei Kälte aber ist es ein fester Brocken, kann es mit einem Hammer zerschlagen werden und splittert in tausend Stücke, hart wie Zahn oder Glas. Aber das sieht nur so aus. Seit fünfundachtzig Jahren steht in der Universität von Queensland / Australien ein mit erkaltetem Pech gefüllter Trichter, unten geöffnet, so dass die scheinbar feste Materie fließen darf. Alle acht bis zwölf Jahre fällt ein Tropfen. Das geht dann so schnell, dass niemand je mit eigenen Augen zugesehen hat. Aber der nächste Tropfen formt sich bereits. Bilder zeigen, wie das Pech aus der Trichterspitze tritt, sich oben verjüngt, nach unten anschwillt zu einer glänzenden Kugel. Noch ein paar Jahre, dann fällt er.

Einen Ast könnte man damit bepinseln und mit den Händen auf dem Rücken gefaltet abwarten, bis ein Vogel geflogen kommt, sich niedersetzt und nie wieder loskommt und sich wie ein reifer Apfel pflücken lässt, mit etwas Widerstand, aber doch pflücken, fast so gut wie eine gebratene Taube direkt in den Mund. Noch einmal ein Weidenkörbchen damit versiegeln, ein Kind aussetzen, einen Turm bauen, ein Schiff kalfatern, das nicht sinken wird. Fallen stellen und die Tröge und Pfuhle der Hölle befüllen. Pfeile herstellen, die an den Spitzen Feuer fangen. Pfeilspitzen aus Feuerstein an Pfeilschäfte aus dem Rohr des Wolligen Schneeballs kleben, wie es der Steinzeitmann vom Hauslabjoch beim Ötztal gemacht haben soll, bis er auf dem Similaun starb.

All das ist bewiesen. Birkenpechreste finden sich, wenn man nur sucht, an den Gründen alter Brunnen, zwischen Zaumzeug und Tontöpfen, Holzrädern und Scherben. Zwischen Waffen und Knochen und Schädeln von Menschen, die noch gar kein Zaumzeug benutzten und kein Geschirr. Es finden sich lose Klumpen und in den Klumpen Bissspuren. Keine Hinweise, wozu das Kauen diente, ob zur Zahnpflege, zum Zermürben des Materials, zum schieren Genuss.