Wenn nur noch bliebe, die Natur zu archivieren
Ein Gespräch zwischen Gabriela Oberkofler und Werner Meyer
Werner Meyer: Das Zentrum der Ausstellung Schwarz ist die Nacht nie in der Kunsthalle Göppingen ist die Installation Weihnachtsbaumarchiv,(vgl. S. 8 – 10, 14, 17) ein partizipatorisches Bild, das von dem alljährlichen Schicksal der Weihnachtsbäume handelt. Circa 60 Bäume, alle in Zimmergröße geschnitten, stehen dicht gedrängt in einem Holzgestell. Meist handelt es sich um die handelsüblichen Nordtannen, auch andere Tannenbäume sind darunter. Vereinzelt finden sich noch Spuren von dem Schmuck, mit dem die Weihnachtsbäume glanzvoll das Zentrum der familiären Feierlichkeiten und Rituale um Jesu Geburt bildeten. Jetzt sind sie anonym, verlieren ihre Nadeln und lassen ihre Vergänglichkeit spüren. In dieser Anordnung wird deutlich, dass diese Bäume, die noch vor kurzem mit so viel Liebe, Sorgfalt und Feierlichkeit ausgewählt waren, für eines der wichtigsten Feste der Christenheit das symbolische Zentrum zu sein, ausgedient haben. Andererseits sind diese wenigen exemplarischen Tannenbäume vorläufig „gerettet“ vor der üblichen sang- und klanglosen Entsorgung und haben die Chance, ihr Leben und ihre eigentlich besondere Geschichte anders zu beenden.
Gabriela Oberkofler: Ja, ich habe sie „gerettet“ vor der Bedeutungslosigkeit, auch wenn ich den Prozess des Naturverbrauchs nicht rückgängig machen kann. Dieses melancholische Bild der manchmal riesigen Haufen ausgedienter Weihnachtsbäume, das sich mir jedes Jahr nach dem 6. Januar, nach Epiphanias, dem Fest der Ankunft der drei Weisen aus dem Morgenland, zeigt, ist ausschlaggebend für meine Installation. Die entsorgten Weihnachtsbäume, die an diesen kalten, grauen Wintertagen am Straßenrand landen, denen man schon von Weitem ansieht, dass sie ihre Glanzzeit hinter sich haben, wurden von mir mit einem Lastwagen abgeholt und in der Kunsthalle Göppingen wieder aufgestellt. Dank des Holzgerüstes, das mir als Fassung dient, wurden die Bäume wieder zu einem Wald, eigentlich zu einem Bild, das an die geordnete und effiziente landwirtschaftliche Aufforstung erinnert, dieses Warten der Bäume in Reih und Glied auf ihre wesentliche Bestimmung, die ihnen nicht von der Natur, sondern von der Kultur der Menschen vorgegeben ist.
WM: Hier enden die Bäume nicht in einem Schredder und werden zu Humus, sondern unsere Installation ist ein Archiv, in dem ihre Existenz im geordneten Bild aufgehoben ist – in zweifacher Weise: zunächst sind sie vom Boden aufgehoben und bewahrt worden, und dann erlebt ihre natürliche Gestalt als Baum eine Metamorphose, eine Apotheose in einem Zustand geordneter Auflösung …
GO: … eben in einem Archiv der Weihnachtsbäume. Erst steht der Wald als eine Fortsetzung des Landschaftsbildes wieder vor Augen. Dann, schön langsam, haben wir begonnen, in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Kunsthalle Göppingen und den Besuchern der Ausstellung, Baum für Baum zu zerlegen. Jeder Baum bekommt ein ihm zugehöriges Aufbewahrungssystem, einen großen Karton für den ganzen Baum, darin kleinere Schachteln für seine Teile. Durch das Zerlegen der Bäume, durch das Aufbringen der vielen Zeit – eine Woche für einen Baum – wird der Baum gewürdigt. Das Bild des Weihnachtsbaumes verschwindet und die Tradition löst sich auf. Sehr sorgfältig und akribisch werden die einzelnen Bestandteile des Baumes nach den verschiedenen Größen der Äste sortiert, die Nadeln und Samen sind abgetrennt und in wieder anderen Schachteln auf-bewahrt. Ein neues Bild, ein anderes Bild von den einzelnen Bäumen entsteht, das meiner Wahrnehmung dieser Bäume in meinem Bild entspricht.
WM: Das Publikum ist aufgefordert, teil zu haben an diesem Verwandlungsprozess. Auf einem Tisch, gezimmert aus denselben Modulen wie das Gestell, liegen die Scheren, die man braucht, um selbst Hand anzulegen und die Bäume bis in ihre kleinsten Elemente zu zerlegen und diese einzusortieren in die unterschiedlich großen Kartons, die mit ihrem Inhalt unsere Ausstellung überdauern werden.
GO: Für meine künstlerische Vorgehensweise bedeutet das Sortieren der Elemente intensive Zuwendung und Hingabe.Ich bin in einem Dorf in den Südtiroler Alpen aufgewachsen. Als ich Kind war, ging mein Vater mit mir und meinen Geschwistern in den Wald. Wir haben einen Baum ausgesucht, ihn gefällt und nach Hause gebracht. Das geht heute nicht mehr, denn dann wären unsere Wälder gerodet. Die Produktion von Weihnachtsbäumen geschieht heute auf landwirtschaftlich industrielle Weise. Mit sehr viel energetischem und logistischem Aufwand werden pünktlich die Weihnachtsmärkte eröffnet, wo die Bäume vermarktet werden. Die eigentliche Zeit der Weihnachtsbäume dauert gerade mal drei Wochen lang, zuerst im Rahmen der idyllischen Weihnachtsmärkte – in Göppingen „Waldweihnacht“ – , dann in der Weihnachtszeit in den Wohnzimmern der Familien, in der die Tannen mit all ihrem Schmuck ihre Bedeutung gewinnen und zum zentralen Bild werden, und dann ist die Zeit vorbei. Die Bäume werden aus den Wohnzimmern wieder verbannt und entsorgt.
Dem wollte ich entgegenwirken. Diesen Kreislauf wollte ich unterbrechen! Stop! Alle Bäume wieder rein! Diesmal in den Ausstellungsraum, dahin wo die Kunst unser Leben spiegelt. Der Wald ist fast wieder da! Leider geht das nicht so einfach. Die Stämme sind abgeschnitten, die Brüche bereits sichtbar.
WM: Als Kind hast Du ein in gewisser Weise naives und direktes und zunächst ungebrochenes Verhältnis zur Natur entwickelt. Als Künstlerin lebst und arbeitest Du in der Stadt. Du stellst Bilder her, die unser kulturelles Verhältnis zur Natur zum Thema haben. Die Kultivierung und der Verbrauch von Natur sind verbunden mit den Bildern, in denen wir romantische Idyllen und Utopien in die Natur projizieren und zugleich übermächtig die Brüche zwischen Natur und Kultur wahrnehmen. Es ist die Stärke deiner Bilder, dass wir nochmals eine spürbare Nähe zu ihrem Gegenstand finden, um zugleich auch unmittelbar die Distanz zur Natur erkennen, wenn wir mit ihr umgehen.
GO: Als Künstlerin entwickle ich so etwas wie Empathie mit den Gegenständen und Motiven meiner Bilder. Da ist der Blick für die Schönheit, für das Eigene der Natur, zum Beispiel für die Form, für das Eigenleben, schlussendlich auch für den Tod und Verfall eines Baumes und eines Waldes. Und da entwickelt sich auch der Sinn dafür, dass dies eben nicht (mehr) ein natürlicher Prozess ist, sondern mit Aneignung und Verwertung zu tun hat. Wir suchen und finden Natur zum Beispiel im Wald, in den Bäumen, und eigentlich suchen und finden wir ein romantisches Bild, das – reichlich verändert – noch bis in die Weihnachtsmärkte und die Verkaufsstände für Weihnachtsbäume seine Bedeutung hat. Kein Baum reicht weiter in das städtische und private, familiäre Leben als der Tannenbaum und seine Metamorphose zum Weihnachtsbaum. Aber diese Geschichte wird vielleicht nicht weit genug erzählt.
WM: In deinen Bildern finde ich immer wieder als Generalthema die Auflösung, die De-Konstruktion, die zu anderen Formen und damit zu anderen Bildern führt. Die großformatige Zeichnung Baum (Blätter, Blüten, Stengel), 2014, (vgl. S. 59 – 61) scheint mir dies konsequent vor Augen zu führen.
GO: Ich bin sehr traditionell aufgewachsen in gelebter Südtiroler Kultur. Es ist so wohltuend und für mich nicht zerstörerisch, das Motiv einmal rundherum komplett auseinander zu nehmen. Baum (Blätter, Blüten, Stengel) ist ein schönes Beispiel. Nur so kann für mich ein mögliches Verstehen stattfinden. Ich höre es fast in meinen Gedanken rascheln, das Nachvollziehen einer Veränderung ist fast körperlich möglich. In meinem Kopf ist es immer noch ein Baum (ich sehe ihn im Wald), der im Laufe des Prozesses zu etwas anderem geworden ist. Zu etwas, das den Wandel unserer Zeit miterlebt hat. Es ist der Umgang mit Natur in einer zivilisierten Welt, in der nicht nur der Mythos von der Natur als solcher, sondern Wissen und Nutzbarmachen den Sinn für die Natur bestimmen.
WM: Noch näher kommt deinem Weihnachtsbaumarchiv meines Erachtens die Zeichnung Latschenkiefer,2015 (vgl. S. 49 – 53). Dabei hat dich ganz offensichtlich die klassische Tradition der botanischen Zeichnung inspiriert. Gleichzeitig hast du der Latschenkiefer als ganz besonderem Baum deiner Heimat ein Denkmal gesetzt.
GO: Die Latschenkiefer als strauchförmigen Baum habe ich in den Sarntaler Alpen entdeckt. Unterhalb der Baumgrenze wächst diese Latschenkiefer in großen Mengen eingebunden in eine Stein- und Flechtenlandschaft. Es entsteht ein Gesamtbild, das mich auch hinsichtlich der Farben sehr beeindruckt hat: Dunkelgrün, Neongrün, Grau, Schwarz und kleinere rote Punkte, bei schönem Wetter noch das Blau des Himmels. Dieser Baum ist klein und wächst geduckt am Boden. Alle seine Teile sind wertvoll. So dient das Holz der Äste der Herstellung des sehr begehrten Latschenkieferöls, das in der Medizin und Kosmetik Verwendung findet. Mich hat diese Pflanze auch interessiert wegen ihres ungewöhnlichen Standortes, an der Baumgrenze, 1.800 m bis 2.500 m über dem Meeresspiegel, auf vulkanischem Boden. Ausgehend von botanischen, frühen naturwisssenschaftlichen Zeichnungen (z.B. denen der Maria Sybilla Merian) zerlege ich die Pflanze aus meiner Sicht nicht nur in ihre Bestandteile, sondern auch in ihre Elemente zu unterschiedlichen Jahreszeiten und in unterschiedliche Wachstumsstadien.
Die Zapfen kommen in meiner Zeichnung sehr oft vor. Als weibliche oder männliche Blüten, als grüne oder gelbe Sprösslinge, als rot gereifte Zapfen, als Samen. In ihre Bestandteile zerlegt erscheinen sie wie kleine rote Schuppen, wie grüne Punkte. Ich zeichne sie im Querschnitt und in Symbiose mit Flechten. Rote Schuppen mit schwarzen Punkten oder grüne längsförmige, Millimeter große oder gelbe Gebilde mit rosa Inhalt. Das Gleiche interessiert mich an den Nadeln, den Ästen usw. Es eröffnet sich ein unerschöpflicher Kosmos, der die Schönheit und Besonderheit dieser Heilpflanze aufscheinen lässt.
Gleichzeitig zeigt die Zeichnung auch den Kreislauf von Verwertbarkeit und Nutzen einer Pflanze. Das Herstellen des Öles ist ein langwieriger Prozess, der zwangsläufig das Roden und Zerstückeln der Pflanze mit sich bringt. Ein Wildwuchs ohne Rodung ist auch in den abgelegenen Sarntaler Alpen nicht möglich.
WM: Wenn man nahe genug an deine Zeichnungen herantritt, am besten so nahe wie du ihnen bist, wenn du zeichnest, dann erkennt man, wie bei dir die Motive aus einer Vielzahl von kleinen autonomen Strichen und Mustern entstehen. Was aus der Ferne fast impressionistisch naturnah aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als ein Prozess der Abstraktion, der davon ausgeht, dass die Zeichnung aus unzähligen kleinen Strichen besteht. Das erkennt man am besten, wenn man seine Augen in derselben Entfernung hat wie du beim Zeichnen.
GO: Richtig. Diese Technik des Zeichnens hat sich bei mir im Laufe der Zeit entwickelt. Ich bin vom Filzstift umgestiegen auf Aquarellfarbe aus der Tube, aufgetragen mit dem Pinsel, den ich in der Hand halte wie einen Stift. Der Filzstift und jetzt der feine Pinsel ergeben diesen besonderen Strich. Durch die Anhäufung von vielen Strichen oder Punkten entstehen diese besonderen Strukturen, ein differenziertes Zusammenspiel dieser feinen Linien, diese dem Fluss des Zeichnens entsprechenden Muster. Noch einmal die Zeichnung Baum (Blätter, Blüten, Stengel): Von ganz nah kann man in den gezeichneten Strukturen auch die einzelnen Blätter, Blüten und Ästchen erkennen. Von der Ferne sind es abstrakte, nebeneinander stehende, farbige Hügel, die das Bild ausmachen. Die Wahrnehmung hat zwei Möglichkeiten, nahsichtig und analytisch, aus einer gewissen Ferne entsteht die Distanz eines eher abstrakten und eigenständigen Bildes. Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten, zwei Wahrnehmungsweisen der Natur, die beide zusammen Sinn machen.
WM: In der Zeichnung Schaf, 2014, prägen ebenfalls zwei Motive deine Sicht der Natur. Da ist einerseits die ausdrucksvolle Gestalt des Schafes, man könnte ein Portrait vermuten. Zugleich bildet sich in der Struktur der Zeichnung und in dem Körper des Tieres ein Gitter ab, wir assoziieren die Maschen des Drahtes eines Zauns. Mit dem lässt sich gleichermaßen die Eingrenzung des Lebensraumes, das Gefangensein verbinden wie auch Schutz, die Hege und Pflege der Tiere. Kultur kommt von Kultivierung. Und das ist nicht nur äußerlich, du hast es dem Körper des Schafes eingeschrieben, als Teil seiner Existenz.
GO: Das Schaf trägt die Struktur des Zaunes in sich. Ich finde das Tier hat es nicht einfach in unserer Gesellschaft. Es ist vielen Qualen ausgesetzt. Denken wir an die Massentierhaltung. In der Beziehungskonstellation zwischen Mensch, Tier und Natur zeigt sich immer wieder, dass der Mensch die Natur kontrollieren und beherrschen will. Und dabei gehen Respekt und Empathie verloren. Das führt zu Missverhältnissen und Ausbeutungen. Eine Veränderung ist nur dann möglich, wenn sich die Verhältnisse wieder verschieben und mehr Gleichgewicht entsteht. Es bedarf der Veränderung der Strukturen. Das Individuum sollte für Mensch und Tier eine zentrale Rolle spielen, Lebensqualität für die Tiere lässt uns die Natur und uns selbst so viel besser erleben. In Zeiten von großräumiger landwirtschaftlicher Nutzung und beständiger Gewinnmaximierung können Bilder subversiv werden, wenn sie Empathie für Natur und Respekt gegenüber den Lebewesen einfordern und gerade das Besondere zum Thema machen, das ich in der Natur sehe.
WM: Wenn sich eine Künstlerin wie du ganz wörtlich genommen ein Bild macht von Tieren und Pflanzen, dann entspricht die Form dem bildnerischen Denken. Die Auflösung in viele feine Striche, mittels derer sich eine zeichnerische Binnenstruktur aufbaut, formt dein Bild. Bei deiner Zeichnung Heuballen, 2014, in denen die Ernte des Grases verdichtet ist, muss ich an Claude Monets Heuschober aus dem späten 19. Jahrhundert denken. Du konzentrierst dich allein auf dein Motiv und lässt einen landschaftlichen Kontext bewusst außen vor.
GO: Ja ich konzentriere mich auf das Wesentliche, auf die riesigen rollenden Heuballen. 2014 war ich längere Zeit in Frankreich, unter anderem in der Normandie, eine Kornkammer Frankreichs, unendliche Felder, mit riesigen Maschinen bearbeitet. Der Mensch kommt in dieser Landschaft kaum vor. In meinen Heuballen ist auch die Landschaft enthalten, sie rollen wie Lawinen auf den Betrachter zu und sind nicht mehr aufzuhalten. Rein zeichnerisch habe ich den Inhalt, die Struktur des getrockneten Grases monatelang akribisch mit der Tuschefeder in die große Form eingeschrieben. Es ist mir sehr wichtig, dass die Motive in meinen Zeichnungen durch das Aufbringen von sehr viel Zeit zu Bildgegenständen werden und letztendlich viel mehr sind als zwei Heuballen, die im Herbst auf den Feldern liegen und darauf warten, von einer Riesenmaschine eingezogen zu werden.
WM: In der Ausstellung zeigen wir deine jüngste Videoarbeit: Mr. Nobel, 2016 (vgl. S. 1 – 6). Da setzt du einem vom Alter und vom Rheuma gezeichneten Hund ein Denkmal. Er gehört zu den Wagenhallen in Stuttgart, wo sich auch dein Atelier befindet, geistert dort nachts umher, ohne Ziel, taucht auf und verschwindet aus deinem nächtlichen Bild. Du hast eine melancholische Stimmung eingefangen, den Blick in das nächtliche Geschehen an einem Ort, wo tagsüber mehr als 80 Künstlerinnen und Künstler arbeiten, wo nachts Stille einkehrt oder die Geräusche der Nacht zu hören sind, Langsamkeit Bedeutung gewinnt, wo Zeit keine Rolle spielt, umso mehr der alte Hund Mr. Nobel, der auftaucht, anwesend ist, im Dunkel verschwindet …
GO: Die Aufnahme passierte ganz bewusst in der Nacht. Mr. Nobel läuft auch tagsüber seine irrationalen Runden in den Wagenhallen. Mal ist viel Betrieb und manchmal sind die Hallen menschenleer. Es gibt besondere Tage: wenn es schneit oder Feiertage. Irgendwo, ganz unerwartet, steht Mr. Nobel und beobachtet oder tapst langsam seine Runden. Er hat, obwohl er sehr alt und zerbrechlich ist, eine unglaubliche Präsenz. Er gehört dazu. Er prägt das Bild der Wagenhallen mit und irgendwann wird er uns fehlen. Um Mr. Nobels mysteriöse Erscheinung einzufangen, habe ich die Kameraaufnahmen in die Nacht verlegt. Es passiert nicht viel, Mr. Nobel tut, was er immer tut, er steht, läuft schwerfällig ein Stück und verharrt wieder, schnuppert, scheint irgendetwas zu suchen, reagiert auf Geräusche und begegnet seiner Freundin, einer weißen Katze. Er steht immer zentral im Bild. Er ist Hauptakteur in einer melancholischen Nacht.
Wenn nur noch bliebe, die Natur zu archivieren
Ein Gespräch zwischen Gabriela Oberkofler und Werner Meyer
Werner Meyer: Das Zentrum der Ausstellung Schwarz ist die Nacht nie in der Kunsthalle Göppingen ist die Installation Weihnachtsbaumarchiv,(vgl. S. 8 – 10, 14, 17) ein partizipatorisches Bild, das von dem alljährlichen Schicksal der Weihnachtsbäume handelt. Circa 60 Bäume, alle in Zimmergröße geschnitten, stehen dicht gedrängt in einem Holzgestell. Meist handelt es sich um die handelsüblichen Nordtannen, auch andere Tannenbäume sind darunter. Vereinzelt finden sich noch Spuren von dem Schmuck, mit dem die Weihnachtsbäume glanzvoll das Zentrum der familiären Feierlichkeiten und Rituale um Jesu Geburt bildeten. Jetzt sind sie anonym, verlieren ihre Nadeln und lassen ihre Vergänglichkeit spüren. In dieser Anordnung wird deutlich, dass diese Bäume, die noch vor kurzem mit so viel Liebe, Sorgfalt und Feierlichkeit ausgewählt waren, für eines der wichtigsten Feste der Christenheit das symbolische Zentrum zu sein, ausgedient haben. Andererseits sind diese wenigen exemplarischen Tannenbäume vorläufig „gerettet“ vor der üblichen sang- und klanglosen Entsorgung und haben die Chance, ihr Leben und ihre eigentlich besondere Geschichte anders zu beenden.
Gabriela Oberkofler: Ja, ich habe sie „gerettet“ vor der Bedeutungslosigkeit, auch wenn ich den Prozess des Naturverbrauchs nicht rückgängig machen kann. Dieses melancholische Bild der manchmal riesigen Haufen ausgedienter Weihnachtsbäume, das sich mir jedes Jahr nach dem 6. Januar, nach Epiphanias, dem Fest der Ankunft der drei Weisen aus dem Morgenland, zeigt, ist ausschlaggebend für meine Installation. Die entsorgten Weihnachtsbäume, die an diesen kalten, grauen Wintertagen am Straßenrand landen, denen man schon von Weitem ansieht, dass sie ihre Glanzzeit hinter sich haben, wurden von mir mit einem Lastwagen abgeholt und in der Kunsthalle Göppingen wieder aufgestellt. Dank des Holzgerüstes, das mir als Fassung dient, wurden die Bäume wieder zu einem Wald, eigentlich zu einem Bild, das an die geordnete und effiziente landwirtschaftliche Aufforstung erinnert, dieses Warten der Bäume in Reih und Glied auf ihre wesentliche Bestimmung, die ihnen nicht von der Natur, sondern von der Kultur der Menschen vorgegeben ist.
WM: Hier enden die Bäume nicht in einem Schredder und werden zu Humus, sondern unsere Installation ist ein Archiv, in dem ihre Existenz im geordneten Bild aufgehoben ist – in zweifacher Weise: zunächst sind sie vom Boden aufgehoben und bewahrt worden, und dann erlebt ihre natürliche Gestalt als Baum eine Metamorphose, eine Apotheose in einem Zustand geordneter Auflösung …
GO: … eben in einem Archiv der Weihnachtsbäume. Erst steht der Wald als eine Fortsetzung des Landschaftsbildes wieder vor Augen. Dann, schön langsam, haben wir begonnen, in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Kunsthalle Göppingen und den Besuchern der Ausstellung, Baum für Baum zu zerlegen. Jeder Baum bekommt ein ihm zugehöriges Aufbewahrungssystem, einen großen Karton für den ganzen Baum, darin kleinere Schachteln für seine Teile. Durch das Zerlegen der Bäume, durch das Aufbringen der vielen Zeit – eine Woche für einen Baum – wird der Baum gewürdigt. Das Bild des Weihnachtsbaumes verschwindet und die Tradition löst sich auf. Sehr sorgfältig und akribisch werden die einzelnen Bestandteile des Baumes nach den verschiedenen Größen der Äste sortiert, die Nadeln und Samen sind abgetrennt und in wieder anderen Schachteln auf-bewahrt. Ein neues Bild, ein anderes Bild von den einzelnen Bäumen entsteht, das meiner Wahrnehmung dieser Bäume in meinem Bild entspricht.
WM: Das Publikum ist aufgefordert, teil zu haben an diesem Verwandlungsprozess. Auf einem Tisch, gezimmert aus denselben Modulen wie das Gestell, liegen die Scheren, die man braucht, um selbst Hand anzulegen und die Bäume bis in ihre kleinsten Elemente zu zerlegen und diese einzusortieren in die unterschiedlich großen Kartons, die mit ihrem Inhalt unsere Ausstellung überdauern werden.
GO: Für meine künstlerische Vorgehensweise bedeutet das Sortieren der Elemente intensive Zuwendung und Hingabe.Ich bin in einem Dorf in den Südtiroler Alpen aufgewachsen. Als ich Kind war, ging mein Vater mit mir und meinen Geschwistern in den Wald. Wir haben einen Baum ausgesucht, ihn gefällt und nach Hause gebracht. Das geht heute nicht mehr, denn dann wären unsere Wälder gerodet. Die Produktion von Weihnachtsbäumen geschieht heute auf landwirtschaftlich industrielle Weise. Mit sehr viel energetischem und logistischem Aufwand werden pünktlich die Weihnachtsmärkte eröffnet, wo die Bäume vermarktet werden. Die eigentliche Zeit der Weihnachtsbäume dauert gerade mal drei Wochen lang, zuerst im Rahmen der idyllischen Weihnachtsmärkte – in Göppingen „Waldweihnacht“ – , dann in der Weihnachtszeit in den Wohnzimmern der Familien, in der die Tannen mit all ihrem Schmuck ihre Bedeutung gewinnen und zum zentralen Bild werden, und dann ist die Zeit vorbei. Die Bäume werden aus den Wohnzimmern wieder verbannt und entsorgt.
Dem wollte ich entgegenwirken. Diesen Kreislauf wollte ich unterbrechen! Stop! Alle Bäume wieder rein! Diesmal in den Ausstellungsraum, dahin wo die Kunst unser Leben spiegelt. Der Wald ist fast wieder da! Leider geht das nicht so einfach. Die Stämme sind abgeschnitten, die Brüche bereits sichtbar.
WM: Als Kind hast Du ein in gewisser Weise naives und direktes und zunächst ungebrochenes Verhältnis zur Natur entwickelt. Als Künstlerin lebst und arbeitest Du in der Stadt. Du stellst Bilder her, die unser kulturelles Verhältnis zur Natur zum Thema haben. Die Kultivierung und der Verbrauch von Natur sind verbunden mit den Bildern, in denen wir romantische Idyllen und Utopien in die Natur projizieren und zugleich übermächtig die Brüche zwischen Natur und Kultur wahrnehmen. Es ist die Stärke deiner Bilder, dass wir nochmals eine spürbare Nähe zu ihrem Gegenstand finden, um zugleich auch unmittelbar die Distanz zur Natur erkennen, wenn wir mit ihr umgehen.
GO: Als Künstlerin entwickle ich so etwas wie Empathie mit den Gegenständen und Motiven meiner Bilder. Da ist der Blick für die Schönheit, für das Eigene der Natur, zum Beispiel für die Form, für das Eigenleben, schlussendlich auch für den Tod und Verfall eines Baumes und eines Waldes. Und da entwickelt sich auch der Sinn dafür, dass dies eben nicht (mehr) ein natürlicher Prozess ist, sondern mit Aneignung und Verwertung zu tun hat. Wir suchen und finden Natur zum Beispiel im Wald, in den Bäumen, und eigentlich suchen und finden wir ein romantisches Bild, das – reichlich verändert – noch bis in die Weihnachtsmärkte und die Verkaufsstände für Weihnachtsbäume seine Bedeutung hat. Kein Baum reicht weiter in das städtische und private, familiäre Leben als der Tannenbaum und seine Metamorphose zum Weihnachtsbaum. Aber diese Geschichte wird vielleicht nicht weit genug erzählt.
WM: In deinen Bildern finde ich immer wieder als Generalthema die Auflösung, die De-Konstruktion, die zu anderen Formen und damit zu anderen Bildern führt. Die großformatige Zeichnung Baum (Blätter, Blüten, Stengel), 2014, (vgl. S. 59 – 61) scheint mir dies konsequent vor Augen zu führen.
GO: Ich bin sehr traditionell aufgewachsen in gelebter Südtiroler Kultur. Es ist so wohltuend und für mich nicht zerstörerisch, das Motiv einmal rundherum komplett auseinander zu nehmen. Baum (Blätter, Blüten, Stengel) ist ein schönes Beispiel. Nur so kann für mich ein mögliches Verstehen stattfinden. Ich höre es fast in meinen Gedanken rascheln, das Nachvollziehen einer Veränderung ist fast körperlich möglich. In meinem Kopf ist es immer noch ein Baum (ich sehe ihn im Wald), der im Laufe des Prozesses zu etwas anderem geworden ist. Zu etwas, das den Wandel unserer Zeit miterlebt hat. Es ist der Umgang mit Natur in einer zivilisierten Welt, in der nicht nur der Mythos von der Natur als solcher, sondern Wissen und Nutzbarmachen den Sinn für die Natur bestimmen.
WM: Noch näher kommt deinem Weihnachtsbaumarchiv meines Erachtens die Zeichnung Latschenkiefer,2015 (vgl. S. 49 – 53). Dabei hat dich ganz offensichtlich die klassische Tradition der botanischen Zeichnung inspiriert. Gleichzeitig hast du der Latschenkiefer als ganz besonderem Baum deiner Heimat ein Denkmal gesetzt.
GO: Die Latschenkiefer als strauchförmigen Baum habe ich in den Sarntaler Alpen entdeckt. Unterhalb der Baumgrenze wächst diese Latschenkiefer in großen Mengen eingebunden in eine Stein- und Flechtenlandschaft. Es entsteht ein Gesamtbild, das mich auch hinsichtlich der Farben sehr beeindruckt hat: Dunkelgrün, Neongrün, Grau, Schwarz und kleinere rote Punkte, bei schönem Wetter noch das Blau des Himmels. Dieser Baum ist klein und wächst geduckt am Boden. Alle seine Teile sind wertvoll. So dient das Holz der Äste der Herstellung des sehr begehrten Latschenkieferöls, das in der Medizin und Kosmetik Verwendung findet. Mich hat diese Pflanze auch interessiert wegen ihres ungewöhnlichen Standortes, an der Baumgrenze, 1.800 m bis 2.500 m über dem Meeresspiegel, auf vulkanischem Boden. Ausgehend von botanischen, frühen naturwisssenschaftlichen Zeichnungen (z.B. denen der Maria Sybilla Merian) zerlege ich die Pflanze aus meiner Sicht nicht nur in ihre Bestandteile, sondern auch in ihre Elemente zu unterschiedlichen Jahreszeiten und in unterschiedliche Wachstumsstadien.
Die Zapfen kommen in meiner Zeichnung sehr oft vor. Als weibliche oder männliche Blüten, als grüne oder gelbe Sprösslinge, als rot gereifte Zapfen, als Samen. In ihre Bestandteile zerlegt erscheinen sie wie kleine rote Schuppen, wie grüne Punkte. Ich zeichne sie im Querschnitt und in Symbiose mit Flechten. Rote Schuppen mit schwarzen Punkten oder grüne längsförmige, Millimeter große oder gelbe Gebilde mit rosa Inhalt. Das Gleiche interessiert mich an den Nadeln, den Ästen usw. Es eröffnet sich ein unerschöpflicher Kosmos, der die Schönheit und Besonderheit dieser Heilpflanze aufscheinen lässt.
Gleichzeitig zeigt die Zeichnung auch den Kreislauf von Verwertbarkeit und Nutzen einer Pflanze. Das Herstellen des Öles ist ein langwieriger Prozess, der zwangsläufig das Roden und Zerstückeln der Pflanze mit sich bringt. Ein Wildwuchs ohne Rodung ist auch in den abgelegenen Sarntaler Alpen nicht möglich.
WM: Wenn man nahe genug an deine Zeichnungen herantritt, am besten so nahe wie du ihnen bist, wenn du zeichnest, dann erkennt man, wie bei dir die Motive aus einer Vielzahl von kleinen autonomen Strichen und Mustern entstehen. Was aus der Ferne fast impressionistisch naturnah aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als ein Prozess der Abstraktion, der davon ausgeht, dass die Zeichnung aus unzähligen kleinen Strichen besteht. Das erkennt man am besten, wenn man seine Augen in derselben Entfernung hat wie du beim Zeichnen.
GO: Richtig. Diese Technik des Zeichnens hat sich bei mir im Laufe der Zeit entwickelt. Ich bin vom Filzstift umgestiegen auf Aquarellfarbe aus der Tube, aufgetragen mit dem Pinsel, den ich in der Hand halte wie einen Stift. Der Filzstift und jetzt der feine Pinsel ergeben diesen besonderen Strich. Durch die Anhäufung von vielen Strichen oder Punkten entstehen diese besonderen Strukturen, ein differenziertes Zusammenspiel dieser feinen Linien, diese dem Fluss des Zeichnens entsprechenden Muster. Noch einmal die Zeichnung Baum (Blätter, Blüten, Stengel): Von ganz nah kann man in den gezeichneten Strukturen auch die einzelnen Blätter, Blüten und Ästchen erkennen. Von der Ferne sind es abstrakte, nebeneinander stehende, farbige Hügel, die das Bild ausmachen. Die Wahrnehmung hat zwei Möglichkeiten, nahsichtig und analytisch, aus einer gewissen Ferne entsteht die Distanz eines eher abstrakten und eigenständigen Bildes. Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten, zwei Wahrnehmungsweisen der Natur, die beide zusammen Sinn machen.
WM: In der Zeichnung Schaf, 2014, prägen ebenfalls zwei Motive deine Sicht der Natur. Da ist einerseits die ausdrucksvolle Gestalt des Schafes, man könnte ein Portrait vermuten. Zugleich bildet sich in der Struktur der Zeichnung und in dem Körper des Tieres ein Gitter ab, wir assoziieren die Maschen des Drahtes eines Zauns. Mit dem lässt sich gleichermaßen die Eingrenzung des Lebensraumes, das Gefangensein verbinden wie auch Schutz, die Hege und Pflege der Tiere. Kultur kommt von Kultivierung. Und das ist nicht nur äußerlich, du hast es dem Körper des Schafes eingeschrieben, als Teil seiner Existenz.
GO: Das Schaf trägt die Struktur des Zaunes in sich. Ich finde das Tier hat es nicht einfach in unserer Gesellschaft. Es ist vielen Qualen ausgesetzt. Denken wir an die Massentierhaltung. In der Beziehungskonstellation zwischen Mensch, Tier und Natur zeigt sich immer wieder, dass der Mensch die Natur kontrollieren und beherrschen will. Und dabei gehen Respekt und Empathie verloren. Das führt zu Missverhältnissen und Ausbeutungen. Eine Veränderung ist nur dann möglich, wenn sich die Verhältnisse wieder verschieben und mehr Gleichgewicht entsteht. Es bedarf der Veränderung der Strukturen. Das Individuum sollte für Mensch und Tier eine zentrale Rolle spielen, Lebensqualität für die Tiere lässt uns die Natur und uns selbst so viel besser erleben. In Zeiten von großräumiger landwirtschaftlicher Nutzung und beständiger Gewinnmaximierung können Bilder subversiv werden, wenn sie Empathie für Natur und Respekt gegenüber den Lebewesen einfordern und gerade das Besondere zum Thema machen, das ich in der Natur sehe.
WM: Wenn sich eine Künstlerin wie du ganz wörtlich genommen ein Bild macht von Tieren und Pflanzen, dann entspricht die Form dem bildnerischen Denken. Die Auflösung in viele feine Striche, mittels derer sich eine zeichnerische Binnenstruktur aufbaut, formt dein Bild. Bei deiner Zeichnung Heuballen, 2014, in denen die Ernte des Grases verdichtet ist, muss ich an Claude Monets Heuschober aus dem späten 19. Jahrhundert denken. Du konzentrierst dich allein auf dein Motiv und lässt einen landschaftlichen Kontext bewusst außen vor.
GO: Ja ich konzentriere mich auf das Wesentliche, auf die riesigen rollenden Heuballen. 2014 war ich längere Zeit in Frankreich, unter anderem in der Normandie, eine Kornkammer Frankreichs, unendliche Felder, mit riesigen Maschinen bearbeitet. Der Mensch kommt in dieser Landschaft kaum vor. In meinen Heuballen ist auch die Landschaft enthalten, sie rollen wie Lawinen auf den Betrachter zu und sind nicht mehr aufzuhalten. Rein zeichnerisch habe ich den Inhalt, die Struktur des getrockneten Grases monatelang akribisch mit der Tuschefeder in die große Form eingeschrieben. Es ist mir sehr wichtig, dass die Motive in meinen Zeichnungen durch das Aufbringen von sehr viel Zeit zu Bildgegenständen werden und letztendlich viel mehr sind als zwei Heuballen, die im Herbst auf den Feldern liegen und darauf warten, von einer Riesenmaschine eingezogen zu werden.
WM: In der Ausstellung zeigen wir deine jüngste Videoarbeit: Mr. Nobel, 2016 (vgl. S. 1 – 6). Da setzt du einem vom Alter und vom Rheuma gezeichneten Hund ein Denkmal. Er gehört zu den Wagenhallen in Stuttgart, wo sich auch dein Atelier befindet, geistert dort nachts umher, ohne Ziel, taucht auf und verschwindet aus deinem nächtlichen Bild. Du hast eine melancholische Stimmung eingefangen, den Blick in das nächtliche Geschehen an einem Ort, wo tagsüber mehr als 80 Künstlerinnen und Künstler arbeiten, wo nachts Stille einkehrt oder die Geräusche der Nacht zu hören sind, Langsamkeit Bedeutung gewinnt, wo Zeit keine Rolle spielt, umso mehr der alte Hund Mr. Nobel, der auftaucht, anwesend ist, im Dunkel verschwindet …
GO: Die Aufnahme passierte ganz bewusst in der Nacht. Mr. Nobel läuft auch tagsüber seine irrationalen Runden in den Wagenhallen. Mal ist viel Betrieb und manchmal sind die Hallen menschenleer. Es gibt besondere Tage: wenn es schneit oder Feiertage. Irgendwo, ganz unerwartet, steht Mr. Nobel und beobachtet oder tapst langsam seine Runden. Er hat, obwohl er sehr alt und zerbrechlich ist, eine unglaubliche Präsenz. Er gehört dazu. Er prägt das Bild der Wagenhallen mit und irgendwann wird er uns fehlen. Um Mr. Nobels mysteriöse Erscheinung einzufangen, habe ich die Kameraaufnahmen in die Nacht verlegt. Es passiert nicht viel, Mr. Nobel tut, was er immer tut, er steht, läuft schwerfällig ein Stück und verharrt wieder, schnuppert, scheint irgendetwas zu suchen, reagiert auf Geräusche und begegnet seiner Freundin, einer weißen Katze. Er steht immer zentral im Bild. Er ist Hauptakteur in einer melancholischen Nacht.