Auflösung und Wiedergutmachung
Beate Ermacora
Tiere sind im Œuvre von Gabriela Oberkofler keine Seltenheit. Ganz im Gegenteil: Vögel, Hühner, Insekten sowie Hirsch, Fuchs, Hund, Pferd, Kuh und Ziege, Frosch oder Salamander bevölkern ihre Zeichnungen und Installationen oder sind Protagonisten ihrer Videos. Gehören sie einerseits zur Erinnerungsarbeit der Künstlerin, die sich in ihrem Werk kontinuierlich mit ihrer Südtiroler Heimat auseinandersetzt, um Fragen nach Identität und der Verortung des Ich in einer globalisierten, mobilen Welt zu stellen, so bringt sie die Tierwelt andererseits auch stets in vielfältige Bezüge zum Menschen, seinen Traditionen, Anschauungen, Verhaltensweisen und Handlungen.
In der humorvoll-sarkastischen Ahnengalerie (2008), einer Serie aus acht Filzstiftzeichnungen, blicken uns Hirsch, Reh, Ziege oder Kuh mit ernsten Gesichtern aus Medaillons entgegen, die in einem rustikalen Schlafzimmer mit Jagdtrophäen hängen. In der Installation Filomena Egger, geb. Oberkofler (2009) versetzt die Künstlerin lebende Hühner und einen Hahn als verweiskräftige Versatzstücke für die Identität der alten, bereits verstorbenen Bäuerin in den Ausstellungsraum, während sie im Video la tourterelle (2010) hofft, dass eine in Gefangenschaft geborene Taube aus ihrem Käfig in die Freiheit fliegt, um sich ihren Artgenossen anzuschließen. Die Taube singt zwar mehrere Stunden mit ihnen, kehrt jedoch nicht in ihren natürlichen Lebensraum zurück, sondern bleibt im Käfig. Eine weitere berührende Arbeit ist in diesem Zusammenhang der Tierfriedhof, den Oberkofler 2009 im Stuttgarter Hospitalhof anlegte. In Analogie zu katholischen Bräuchen tragen die neun Kreuze Emailleschildchen mit Bildern der Verstorbenen. Allerdings werden uns nicht solche Porträts gezeigt, wie wir liebe Angehörige üblicherweise gerne in Erinnerung behalten würden, sondern makabere Bilder ihres Todes. Dass viele von ihnen, wie das Eichhörnchen, der Frosch, der Fisch oder der Vogel, keines natürlichen Todes gestorben sind, sondern durch Gewalteinwirkung, zeigt austretendes Blut. Wie eine Chronistin hält Gabriela Oberkofler die Tiere in ihren erstarrten, verrenkten, eingefallenen Körperhaltungen so fest, wie sie sie gefunden hat.
Während Oberkofler im Tierfriedhof und der damit einhergehenden Zeichnungsserie Gefunden am … (2009) Tiere letztmalig in ihrer, wenn auch versehrten, Ganzheit mit nüchterner, fast naturwissenschaftlicher Genauigkeit wiedergibt, bevor sie dem Prozess des organischen Verfalls erliegen, ist es in der jüngst entstandenen Blattfolge Es fällt (2012) gerade umgekehrt. Hier interessiert sie der Vorgang des Zerfalls und der Auflösung. In diesen Arbeiten treffen wir dann auch auf die im Titel dieses Katalogs und der begleitenden Ausstellung angekündigten Insekten. Nicht alle zählen wie der schön gemusterte Schwalbenschwanz, einer der größten und auffälligsten Tagfalter, der allerdings bereits zu den gefährdeten Arten gehört, oder die Mosaikjungfer aus der Gattung der Edellibellen mit ihrem lang gezogenen, blaugrünen Körper, die sich schwierigen Umgebungen stets hervorragend anpassen kann, zu besonderen Sympathieträgern. Aus menschlicher Sicht erscheinen uns der sich von Aas ernährende Totengräber, ein Käfer mit sprechendem Namen, die schwarz-gelb-gestreifte Erdhummel, die ihre Nester tief in die Erde gräbt, oder gar die metallisch blau, grün oder gold glänzende Schmeißfliege mit ihrer Vorliebe für intensiv riechende organische Substanzen wie Kot, schon weniger sympathisch.
Als Anschauungsmaterial für ihre im kleinen DIN-A4-Format ausgeführten Zeichnungen dienen Gabriela Oberkofler Insekten ihrer eigenen umfangreichen Sammlung, die über tausend Fliegen, aber auch Raritäten wie einen Hirschkäfer, enthält. Aus dieser Sammlung wandern übrigens immer wieder einzelne Tiere in Installationen, wie in der Ausstellung Die Geranie soll eine wichtige Rolle spielen (2011), wo eine Hummel, ein Maikäfer und eine Holzbiene auf weißen Deckchen drapiert sind oder sich ein Nachtpfauenauge dekorativ mit Blüten und Würmchen auf einer runden Spitzendecke wiederfindet. In der Serie Es fällt ist die Zeichensetzung auf dem weißen Blatt mit einem speziellen Aquarellfilzstift wie immer bei Oberkofler sparsam, reduziert. „Alles Gezeigte wird dabei seinem Kontext entrissen, nichts lenkt vom eigentlichen Objekt des Interesses ab, alles fokussiert sich. Das weiße leere Blatt schärft den Blick und öffnet den Raum für Assoziationen, Erinnerungen, Träume und Verluste.“ 1 Anekdotisches, Erzählerisches ergibt sich daher vielmehr erst in der Zusammenschau einzelner Arbeiten und Werkgruppen. Ihr eigenwilliger, pointillistisch-additiver Zeichenduktus besteht aus nebeneinander getupften Farbpünktchen, aus Strichelungen und Schraffuren, die dem Dargestellten ornamentale, schwebende Leichtigkeit geben. Linien und Konturen kommen nur dann ins Spiel, wenn es gilt, Körper und feste Formen etwas genauer zu präzisieren.
In den Zeichnungen scheinen die kleinen Flügeltiere von gewaltigen Sogwirkungen erfasst worden zu sein. Wie Wirbelstürme fegen amorphe, blütenähnliche Gebilde durch den Raum, an dessen Rändern immer wieder Fragmente von Insekten auszumachen sind. Da ein Flügel, dort ein Bein, hier ein Fühler – die Künstlerin zeigt gerade so viel, damit es uns gelingt, das Tier zu identifizieren. Wie es in diese Lage gekommen ist, erzählt sie uns jedoch nicht. In der Videoanimation Es fällt (2012), die auf einer gleichnamigen Zeichnung beruht, ergießt sich eine Farbwolke von oben nach unten und führt, vergleichbar mit dem Abgang einer Lawine oder der Eruption eines Vulkans, Leichenteile von Insekten mit sich. Sollte der eine oder andere Überlebende darunter sein, so stellt sich unweigerlich die Frage: Was nun? Wie
geht es weiter?
Oberkofler führt uns Katastrophenszenarien in der Tierwelt vor Augen, wie sie es schon mit den Brennenden Ameisenhaufen (2010) getan hat, die zum Zweck landwirtschaftlicher Nutzung vernichtet wurden. Wenn wir parallel dazu im Œuvre der Künstlerin ein brennendes Haus sehen, dann wird einmal mehr klar, dass sie nicht nur mit Erinnerungen arbeitet, sondern auch gezielt mit Analogien zwischen Tier und Mensch. Haus, Heimat, Zuhausesein, Weggehen, Wiederkommen, Neuanfang sind Themen, die aufgrund ihrer eigenen Biografie im Fokus von Gabriela Oberkofler stehen. Neben Libellenschwärmen sind es vor allem Bienenschwärme, die sie in kugeligen, bewegten Formationen darstellt, wie sie dabei sind, ein neues Zuhause zu suchen oder vielleicht schon eines im Geäst gefunden haben. Interessanterweise verlässt die Königin mit ihrem Gefolge just dann ihren Bienenstaat, wenn dieser am vitalsten ist und so folgert die Künstlerin, dass auch Menschen gerade dann, wenn sie in Höchstform sind nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten und Altes hinter sich lassen wollen.2
Meist sind Neuanfänge allerdings nicht so einfach. Egal, ob es um einen Ortswechsel oder um innere Neuorientierung geht, stets werden psychische Prozesse in Gang gesetzt, die mit allen möglichen, meist irrationalen Ängsten verbunden sind. Die Auflösung von Vertrautem und Gewohntem führt zu Fragen und Überlegungen nach dem Danach – nach Lebensraum und Überlebensstrategien. Was kann man zulassen, ohne sich selbst dabei zu verlieren oder zu verleugnen? Oder ist im Moment des Zulassens das Neue schon da? Solche und ähnliche Gedanken scheint Oberkofler in der Komposition Vogelbeerbaum (2012) zu verbildlichen. Auf den ersten Blick sieht man rote Beeren, die an schwingenden Ästen hängen, auf denen wiederum schwarze Vögel sitzen. Erst allmählich nimmt man in der detailreichen Szenerie wahr, dass mitten in dem lebendigen Treiben auch tote Tiere mit dem Kopf nach unten im Baum hängen.
Gabriela Oberkofler, die auf dem Land aufgewachsen ist und den harten Umgang von Menschen mit Tieren kennt, macht dies in vielen Facetten immer wieder zum Thema ihrer Kunst. Dabei spürt man, dass sie selbst einen überaus liebevollen Zugang zur Natur und ihren Wesen hat, ohne jedoch jemals mit dem ökologischen Zeigefinger zu mahnen.
Wie ein sich auflösendes Trugbild, das noch nicht ganz da ist oder schon wieder halb verschwunden, taucht in einer Zeichnung ein Pferd aus dem weißen Untergrund des Papiers hervor. Es ist an einen Baum gekettet, blutet aus dem Maul und blickt uns aus traurigen Augen an. Gerade solche, den Tieren und der Natur durch Menschen zugefügte Verletzungen und Ungerechtigkeiten möchte die Künstlerin immer wieder gut machen. So wie sie die Taube in la tourterelle wieder in die Freiheit entlassen wollte, einem Kirschbaum symbolisch Kirschen zurückgibt oder toten Tieren Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringt, indem sie ein würdiges Begräbnis arrangiert, ist es ihr in ihrem neuesten, für Friedrichshafen entstandenen Projekt ein Anliegen, dem Bodensee seine Fische wiederzubringen. Wie in einem heilenden Analogiezauber setzt sie in riesigen Zeichnungen Fische ins Wasser. Im Ausstellungsraum konstruiert sie mit Tannenskeletten, die von Angelschnüren zusammengehalten werden und mit der Zeichnung eines Rottannenpaares korrespondieren, eine Mutter-Kind-Station, eine Art Brutstätte für Fische zum Laichen. Angelhaken und Fischköder, die normalerweise zum Fangen von Fischen eingesetzt werden, funktioniert sie kurzerhand zu Futterstellen und Futter um. Zusätzlich verweisen ein schwarzer Eimer sowie Fischerstiefel auf die Fischerei. Nach der Ausstellung, und das ist bezeichnend für die künstlerische Strategie von Gabriela Oberkofler, die stets versucht, Kunst und Leben zu verbinden, soll im Bodensee eine Laichstation eingerichtet werden, an einer geheimen Stelle.
1 Jörg van den Berg: durch nichts wird mehr. In: Jörg van den Berg, Sylvie Vojik (Hg.): Gabriela Oberkofler. geblieben sind die orte die dich sahen. Berlin, 2012, S. 15. Katalog zu den Ausstellungen: Kunsthalle Ravensburg / Columbus Art Foundation; art 3 – art contemporain, Valence; Museum Biedermann, Donaueschingen.
2 Gabriela Oberkofler im Gespräch mit der Autorin am 1. März 2013.
Auflösung und Wiedergutmachung
Beate Ermacora
Tiere sind im Œuvre von Gabriela Oberkofler keine Seltenheit. Ganz im Gegenteil: Vögel, Hühner, Insekten sowie Hirsch, Fuchs, Hund, Pferd, Kuh und Ziege, Frosch oder Salamander bevölkern ihre Zeichnungen und Installationen oder sind Protagonisten ihrer Videos. Gehören sie einerseits zur Erinnerungsarbeit der Künstlerin, die sich in ihrem Werk kontinuierlich mit ihrer Südtiroler Heimat auseinandersetzt, um Fragen nach Identität und der Verortung des Ich in einer globalisierten, mobilen Welt zu stellen, so bringt sie die Tierwelt andererseits auch stets in vielfältige Bezüge zum Menschen, seinen Traditionen, Anschauungen, Verhaltensweisen und Handlungen.
In der humorvoll-sarkastischen Ahnengalerie (2008), einer Serie aus acht Filzstiftzeichnungen, blicken uns Hirsch, Reh, Ziege oder Kuh mit ernsten Gesichtern aus Medaillons entgegen, die in einem rustikalen Schlafzimmer mit Jagdtrophäen hängen. In der Installation Filomena Egger, geb. Oberkofler (2009) versetzt die Künstlerin lebende Hühner und einen Hahn als verweiskräftige Versatzstücke für die Identität der alten, bereits verstorbenen Bäuerin in den Ausstellungsraum, während sie im Video la tourterelle (2010) hofft, dass eine in Gefangenschaft geborene Taube aus ihrem Käfig in die Freiheit fliegt, um sich ihren Artgenossen anzuschließen. Die Taube singt zwar mehrere Stunden mit ihnen, kehrt jedoch nicht in ihren natürlichen Lebensraum zurück, sondern bleibt im Käfig. Eine weitere berührende Arbeit ist in diesem Zusammenhang der Tierfriedhof, den Oberkofler 2009 im Stuttgarter Hospitalhof anlegte. In Analogie zu katholischen Bräuchen tragen die neun Kreuze Emailleschildchen mit Bildern der Verstorbenen. Allerdings werden uns nicht solche Porträts gezeigt, wie wir liebe Angehörige üblicherweise gerne in Erinnerung behalten würden, sondern makabere Bilder ihres Todes. Dass viele von ihnen, wie das Eichhörnchen, der Frosch, der Fisch oder der Vogel, keines natürlichen Todes gestorben sind, sondern durch Gewalteinwirkung, zeigt austretendes Blut. Wie eine Chronistin hält Gabriela Oberkofler die Tiere in ihren erstarrten, verrenkten, eingefallenen Körperhaltungen so fest, wie sie sie gefunden hat.
Während Oberkofler im Tierfriedhof und der damit einhergehenden Zeichnungsserie Gefunden am … (2009) Tiere letztmalig in ihrer, wenn auch versehrten, Ganzheit mit nüchterner, fast naturwissenschaftlicher Genauigkeit wiedergibt, bevor sie dem Prozess des organischen Verfalls erliegen, ist es in der jüngst entstandenen Blattfolge Es fällt (2012) gerade umgekehrt. Hier interessiert sie der Vorgang des Zerfalls und der Auflösung. In diesen Arbeiten treffen wir dann auch auf die im Titel dieses Katalogs und der begleitenden Ausstellung angekündigten Insekten. Nicht alle zählen wie der schön gemusterte Schwalbenschwanz, einer der größten und auffälligsten Tagfalter, der allerdings bereits zu den gefährdeten Arten gehört, oder die Mosaikjungfer aus der Gattung der Edellibellen mit ihrem lang gezogenen, blaugrünen Körper, die sich schwierigen Umgebungen stets hervorragend anpassen kann, zu besonderen Sympathieträgern. Aus menschlicher Sicht erscheinen uns der sich von Aas ernährende Totengräber, ein Käfer mit sprechendem Namen, die schwarz-gelb-gestreifte Erdhummel, die ihre Nester tief in die Erde gräbt, oder gar die metallisch blau, grün oder gold glänzende Schmeißfliege mit ihrer Vorliebe für intensiv riechende organische Substanzen wie Kot, schon weniger sympathisch.
Als Anschauungsmaterial für ihre im kleinen DIN-A4-Format ausgeführten Zeichnungen dienen Gabriela Oberkofler Insekten ihrer eigenen umfangreichen Sammlung, die über tausend Fliegen, aber auch Raritäten wie einen Hirschkäfer, enthält. Aus dieser Sammlung wandern übrigens immer wieder einzelne Tiere in Installationen, wie in der Ausstellung Die Geranie soll eine wichtige Rolle spielen (2011), wo eine Hummel, ein Maikäfer und eine Holzbiene auf weißen Deckchen drapiert sind oder sich ein Nachtpfauenauge dekorativ mit Blüten und Würmchen auf einer runden Spitzendecke wiederfindet. In der Serie Es fällt ist die Zeichensetzung auf dem weißen Blatt mit einem speziellen Aquarellfilzstift wie immer bei Oberkofler sparsam, reduziert. „Alles Gezeigte wird dabei seinem Kontext entrissen, nichts lenkt vom eigentlichen Objekt des Interesses ab, alles fokussiert sich. Das weiße leere Blatt schärft den Blick und öffnet den Raum für Assoziationen, Erinnerungen, Träume und Verluste.“ 1 Anekdotisches, Erzählerisches ergibt sich daher vielmehr erst in der Zusammenschau einzelner Arbeiten und Werkgruppen. Ihr eigenwilliger, pointillistisch-additiver Zeichenduktus besteht aus nebeneinander getupften Farbpünktchen, aus Strichelungen und Schraffuren, die dem Dargestellten ornamentale, schwebende Leichtigkeit geben. Linien und Konturen kommen nur dann ins Spiel, wenn es gilt, Körper und feste Formen etwas genauer zu präzisieren.
In den Zeichnungen scheinen die kleinen Flügeltiere von gewaltigen Sogwirkungen erfasst worden zu sein. Wie Wirbelstürme fegen amorphe, blütenähnliche Gebilde durch den Raum, an dessen Rändern immer wieder Fragmente von Insekten auszumachen sind. Da ein Flügel, dort ein Bein, hier ein Fühler – die Künstlerin zeigt gerade so viel, damit es uns gelingt, das Tier zu identifizieren. Wie es in diese Lage gekommen ist, erzählt sie uns jedoch nicht. In der Videoanimation Es fällt (2012), die auf einer gleichnamigen Zeichnung beruht, ergießt sich eine Farbwolke von oben nach unten und führt, vergleichbar mit dem Abgang einer Lawine oder der Eruption eines Vulkans, Leichenteile von Insekten mit sich. Sollte der eine oder andere Überlebende darunter sein, so stellt sich unweigerlich die Frage: Was nun? Wie
geht es weiter?
Oberkofler führt uns Katastrophenszenarien in der Tierwelt vor Augen, wie sie es schon mit den Brennenden Ameisenhaufen (2010) getan hat, die zum Zweck landwirtschaftlicher Nutzung vernichtet wurden. Wenn wir parallel dazu im Œuvre der Künstlerin ein brennendes Haus sehen, dann wird einmal mehr klar, dass sie nicht nur mit Erinnerungen arbeitet, sondern auch gezielt mit Analogien zwischen Tier und Mensch. Haus, Heimat, Zuhausesein, Weggehen, Wiederkommen, Neuanfang sind Themen, die aufgrund ihrer eigenen Biografie im Fokus von Gabriela Oberkofler stehen. Neben Libellenschwärmen sind es vor allem Bienenschwärme, die sie in kugeligen, bewegten Formationen darstellt, wie sie dabei sind, ein neues Zuhause zu suchen oder vielleicht schon eines im Geäst gefunden haben. Interessanterweise verlässt die Königin mit ihrem Gefolge just dann ihren Bienenstaat, wenn dieser am vitalsten ist und so folgert die Künstlerin, dass auch Menschen gerade dann, wenn sie in Höchstform sind nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten und Altes hinter sich lassen wollen.2
Meist sind Neuanfänge allerdings nicht so einfach. Egal, ob es um einen Ortswechsel oder um innere Neuorientierung geht, stets werden psychische Prozesse in Gang gesetzt, die mit allen möglichen, meist irrationalen Ängsten verbunden sind. Die Auflösung von Vertrautem und Gewohntem führt zu Fragen und Überlegungen nach dem Danach – nach Lebensraum und Überlebensstrategien. Was kann man zulassen, ohne sich selbst dabei zu verlieren oder zu verleugnen? Oder ist im Moment des Zulassens das Neue schon da? Solche und ähnliche Gedanken scheint Oberkofler in der Komposition Vogelbeerbaum (2012) zu verbildlichen. Auf den ersten Blick sieht man rote Beeren, die an schwingenden Ästen hängen, auf denen wiederum schwarze Vögel sitzen. Erst allmählich nimmt man in der detailreichen Szenerie wahr, dass mitten in dem lebendigen Treiben auch tote Tiere mit dem Kopf nach unten im Baum hängen.
Gabriela Oberkofler, die auf dem Land aufgewachsen ist und den harten Umgang von Menschen mit Tieren kennt, macht dies in vielen Facetten immer wieder zum Thema ihrer Kunst. Dabei spürt man, dass sie selbst einen überaus liebevollen Zugang zur Natur und ihren Wesen hat, ohne jedoch jemals mit dem ökologischen Zeigefinger zu mahnen.
Wie ein sich auflösendes Trugbild, das noch nicht ganz da ist oder schon wieder halb verschwunden, taucht in einer Zeichnung ein Pferd aus dem weißen Untergrund des Papiers hervor. Es ist an einen Baum gekettet, blutet aus dem Maul und blickt uns aus traurigen Augen an. Gerade solche, den Tieren und der Natur durch Menschen zugefügte Verletzungen und Ungerechtigkeiten möchte die Künstlerin immer wieder gut machen. So wie sie die Taube in la tourterelle wieder in die Freiheit entlassen wollte, einem Kirschbaum symbolisch Kirschen zurückgibt oder toten Tieren Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringt, indem sie ein würdiges Begräbnis arrangiert, ist es ihr in ihrem neuesten, für Friedrichshafen entstandenen Projekt ein Anliegen, dem Bodensee seine Fische wiederzubringen. Wie in einem heilenden Analogiezauber setzt sie in riesigen Zeichnungen Fische ins Wasser. Im Ausstellungsraum konstruiert sie mit Tannenskeletten, die von Angelschnüren zusammengehalten werden und mit der Zeichnung eines Rottannenpaares korrespondieren, eine Mutter-Kind-Station, eine Art Brutstätte für Fische zum Laichen. Angelhaken und Fischköder, die normalerweise zum Fangen von Fischen eingesetzt werden, funktioniert sie kurzerhand zu Futterstellen und Futter um. Zusätzlich verweisen ein schwarzer Eimer sowie Fischerstiefel auf die Fischerei. Nach der Ausstellung, und das ist bezeichnend für die künstlerische Strategie von Gabriela Oberkofler, die stets versucht, Kunst und Leben zu verbinden, soll im Bodensee eine Laichstation eingerichtet werden, an einer geheimen Stelle.
1 Jörg van den Berg: durch nichts wird mehr. In: Jörg van den Berg, Sylvie Vojik (Hg.): Gabriela Oberkofler. geblieben sind die orte die dich sahen. Berlin, 2012, S. 15. Katalog zu den Ausstellungen: Kunsthalle Ravensburg / Columbus Art Foundation; art 3 – art contemporain, Valence; Museum Biedermann, Donaueschingen.
2 Gabriela Oberkofler im Gespräch mit der Autorin am 1. März 2013.