Wir sind die Bienen des Unsichtbaren
Annett Reckert
Es ist vor allem die Natur, die Gabriela Oberkofler Stoff für ihre detailreichen Zeichnungen, ihre Objekte, Installationen und Videos bietet. Ein Schaf mit Zaun, ein Pferd, das aus dem Maul blutet, ein halbes Pferd, Rehbeine, Wolf, Katze, Hund. Vögeln gilt ihr Interesse, ebenso all dem, was grünt und blüht und wieder vergeht: ein Trieb, ein Zweig, ein Haufen Samen, ein umgefallener Baum von monströser Gestalt. Geht die Künstlerin ihrer täglichen Atelierarbeit, dem Zeichnen, nach, so stellt sie jedes ihrer Motive innerhalb des Bildgeviertes frei, indem sie einen bemerkenswert großen Anteil des Blattweißes für sich arbeiten lässt. Im Grunde bleibt alles, was Gabriela Oberkofler zeichnet oder auch installativ im Raum präsentiert, ein Fragment. Eine schlüssige Erzählung und jede Form von Idyllisierung bleiben aus. Vielmehr sind es immer wieder Momente des Verlustes, der Gefährdung und der Entfremdung, die in ihren Arbeiten spürbar werden.
Manches Motiv lässt die Südtiroler Herkunft der Künstlerin erahnen, aber wirklich Konkreteres über den Ort, über Tages- und Jahreszeiten ist nicht zu entschlüsseln. Stattdessen bleiben Motive wie das Fenster, die Bank, der Balkon, die Tränke oder die Geranien rätselhafte Embleme, die auf Seiten des Betrachters eine Nervosität des Geistes fordern, der den fehlenden Kontext fantasieren will. Deshalb nur halb (mit Bett), 2016, der Titel einer Installation im so genannten Herrenzimmer der Städtischen Galerie Delmenhorst, Haus Coburg, hat in diesem Sinne programmatischen Charakter (vgl. S. 42).
Insekten schenkt Gabriela Oberkofler von je her besondere Beachtung und damit wendet sie sich im Grunde dem Alltäglichen zu: Insekten sind unsere Balkongäste, sie sitzen auf unserem Kuchenstück, sie wohnen in unseren Schränken, sie schlafen und reisen mit uns und dennoch haben sie ein zweifelhaftes Image. Ihr unstetes Wesen, ihre Zeugungsfreude und ihre unvoreingenommene Teilhabe am Tod – am Zersetzungsprozess alles Lebendigen – erwecken unser Misstrauen.
Gabriela Oberkofler betrachtet alle erdenklichen Kerb- und Krabbeltiere mit großer Faszination und Achtsamkeit. Sie beobachtet sie in ihrem natürlichen Lebensraum, und sie sammelt tote Exemplare: kleine perfekt gebaute Kreaturen, erstarrt zu fadenscheinig schillernden Juwelen, die eine fremde ferne Welt aufblitzen lassen. Lebens- und Todesbejahung liegen nah beieinander im Denken und Schaffen der Künstlerin. Mit ihren Zeichnungen würdigt sie die anonymen Schönheiten. In ihren Installationen bekommen Käfer, Motten, Schmetterlinge oder Schmeißfliegen einen Auftritt, der einem sensiblen Betrachter Anlass zur Konzentration bis hin zur Andacht sein kann. Und nicht zuletzt sind es die Bienen, mit denen sich die Künstlerin immer wieder befasst. Eine prachtvolle Holzbiene gehört in ihre große Sammlung, sie zeichnet Hummeln, Erdhummeln, und immer wieder Honigbienen in verschiedenen Formationen oder allein auf Blüten; jedes einzelne dieser Blätter ist eine behutsame Hommage.
In dem großen, hochformatigen Blatt Bienenschwarm, 2012, gerät Gabriela Oberkoflers leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den Bienen zu einem Meisterstück (vgl. S. 79 – 80). Was dort mittig auf dem Blatt sitzt, erscheint zunächst wie ein ungelenk ausgreifendes Ungetüm. Schwarz und Rot dominieren, dazwischen Gelb, wenig Grün und Violett. Erst aus der Nähe betrachtet entpuppt sich das Gebilde als ein brodelnder Schwarm von abertausenden der schwirrenden Geschöpfe. Für einen Moment kann sich die Assoziation einstellen, die Zeichnerin habe nach einem Blick durch ein Mikroskop das wimmelnde Leben in einer Probe auf dem Objektträger festgehalten, dann wieder ist es, als könne man das Summen und Brummen der Nimmermüden hören: Sie sausen umher, sie kreisen, krabbeln, krallen, sie schwänzeln und tanzen. Mal steigen, mal rauschen sie auf, dann gleiten und stürzen sie herab, sie fallen, zerfallen. Kleine Torsi, Flügel, Beinchen, Teile des ächzenden Pflanzenwerkes hängen und rieseln herunter. Diese verworrenen Verhältnisse machen Gabriela Oberkoflers Bienenschwarm zu einem versponnenen Gewebe, zu einem Funken sprühenden Höllensturz. Dabei ist jede kleine Einzelform wie auch das Gesamt aus einer Unzahl von winzigen Filzstiftstrichen und -punkten erschaffen. Eine lineare Fassung der Dinge, die Kontur, spielt kaum eine Rolle, und so franst der Bienenschwarm wie viele andere Motive, die die Künstlerin in die Weite ihrer Blätter setzt, in der Peripherie schwindsüchtig aus. Der Eindruck des Flüchtigen und Instabilen entsteht; alles ist in Auflösung begriffen.
Die Künstlerin zeichnet einen Bienenschwarm, der seine Behausung, seinen Bienenstock, verlassen hat. Ein Naturschauspiel, das sich häufig im späten Frühjahr einstellt. Ein Schwarm folgt einer Königin, legt unweit des Mutterstockes eine Ruhepause ein, während so genannte Spurbienen eine neue, geeignete Nisthöhle auskundschaften. Geht es um diese aufgeladene Phase des Übergangs, legt es die Zeichnung nahe, über das Homonym „schwärmen“ nachzudenken. Schließlich liefert der kollektive Auszug der Tiere, deren Unruhe und Erregung, das anschauliche Bild für unseren Begriff des Schwärmens. Wer schwärmt, der ist unbeirrbar fokussiert und hingerissen. Geht es um das obsessive Zeichnen, mit dem sich Gabriela Oberkofler ihre Naturstücke aneignet, so ist sie einerseits eine Künstlerin, die schwärmt. Mit Stift und Pinsel denkend geht sie in ihrem Sujet auf. Andererseits entkommt sie der Gefahr einer haltlos verklärenden Darstellung, indem sie zwischen ihrer Naturwahrnehmung und ihrer zeichnerischen Chiffre – ihren Punktierungen, Strichen und Kürzeln – interpoliert. Noch dazu wendet sie sich dem Gegenstand ihrer Betrachtung auch mit anderen Medien zu. In ihrer Video-Doppelprojektion mit dem Titel Bienenflug, Baum, rosa Blüte, Baum, weiße Blüte, 2013, (vgl. S. 44 – 48) setzt sie zwei Kameras als rastlos bewegte Sucher ein, um so einen Wechsel in die Rolle der Nektar und Pollen sammelnden Tiere anzudeuten. Bienenflug ist der Versuch unserer anthropozentrischen Weltsicht zu entkommen. Der Betrachter taucht in ein weißes und rosafarbenes Schlaraffenland ein. Allerdings lässt das nervöse Vor und Zurück der Kamera, lassen Wackler und Schwenks, wechselnde Fokussierungen und Unschärfen wie auch der harsche rhythmisierte Bienen-Sound das Paradies als unerwartet strapaziös erscheinen. Die Videoarbeit mit dem Titel Mr. Nobel,2016, ist ein ruhiger, wehmütig stimmender Gegenpol zu dieser Arbeit (vgl. S. 1 – 6). Zu beobachten ist das nächtliche Dasein eines vom Alter schwer gezeichneten Hundes, der dennoch würdevoll und selbstverständlich im Dunkel der Nacht seine Runden zieht. Wie und was er wahrnimmt, was ihn umtreibt, bleibt im Verborgenen. Niemals wird es ein Verstehen geben. Taucht Gabriela Oberkofler oft mit extrem konzentrierten und detailverliebten Arbeiten zutiefst in ihre Naturstücke ein, gibt es in ihrem Schaffen auch sezierend-analysierende Arbeiten (vgl. Latschenkiefer, 2016) und solche, die als rein beobachtende filmische Meditation dastehen und damit den in seinen Interpretationsmustern gefangenen Menschen mit dem Geheimnis tierischer Existenz alleine lassen.
Was speziell die Bienen betrifft, ließe sich eine Kunstgeschichte beginnend bei frühen Höhlenzeichnungen, bei den Bienen der Barberini bis zu Joseph Beuys oder Rosemarie Trockel / Carsten Höller, Ren Ri oder Pierre Huyghe zeichnen. Das gleiche gilt für eine im Grunde die Menschheitsgeschichte begleitende Forschung: Die Organisation der Bienen in Völkern, ihre präzise Tätigkeit als architektonische Geometer, ihre Orientierung und Kommunikation, ihre Gabe der Verwandlung, die letztlich den Honig entstehen lässt, und ihre bedrohte Rolle in unserem Ökosystem wurden und werden untersucht. Aber bei all dem bleibt immer ein Hauch Mysterium, das in früheren Zeiten der Honigjäger und heute der Imker verkörpert. Er ist und bleibt eine von Mythen umrankte Figur.
Die Vorbereitungen für die Ausstellung Wind zog auf in der Städtischen Galerie Delmenhorst spielten dem Projekt den Imker Uwe Roselieb zu und so wurde die bis dahin rein der Kunstbetrachtung unterzogene Zeichnung Bienenschwarm zu einem Appell, der dazu aufforderte, nach einem klassischen Ausstellungsrund-gang in den Räumen der Galerie in die Delmenhorster Graft auszuziehen. Dort erwartete die Besucher ein Trabant der Ausstellung inmitten einer wunderschönen, aber bedrohten Parkanlage. Durch fachliche und politische Fehlentscheidungen steigt in diesem Stadtpark seit 2011 der Grundwasserspiegel. Von einem dramatischen Baumsterben war der für die Bedrängnisse der Natur so empfindsamen Künstlerin zu berichten. Das Wandbild mit dem Titel Graft-Wasserstand, 2016 (vgl. S. 33), die partizipatorisch angelegte Installation Aus der Graft,2016 (vgl. S. 34 – 35) und die von einer leisen und schleichenden Gefährdung des Parks inspirierte Zeichnung Blätter, 2016 (vgl. S. 66– 69) setzten in der Ausstellung Wind zog auf dem Park und den rund 1000 ertrunkenen Bäumen ein Denkmal.
Indem die Gunst der Stunde den Bienenexperten und die Künstlerin zusammenführte, kam es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit und damit zu einer Installation, die dem Imker zu Ehren den Titel Roseliebsche Beuten trug (vgl. S. 25 – 26, 38 – 39): eine skulpturale Setzung in einem Kleingarten inmitten des Parks und eine tatsächlich betriebene Honigproduktion zugleich. Aus-gerichtet zur Sonne waren acht tiefschwarz umkleidete Bienen-beuten in einem Halbrund angeordnet, jeweils mit einem üppig bepflanzten kleinen Blumenkasten auf dem Dach. Ein betont reduziertes klares Konzept, das an einen Versuchsaufbau gleichermaßen erinnerte wie auch an die Ästhetik einfacher Siedlungsformen oder einer archaischen Kultstätte. Sowohl die Verschalung als auch die Blumenkästen waren aus eingefärbten Versatzstücken gewöhnlicher Obstkisten zusammengezimmert. Ein Blick auf die Arbeit Buggelkraxen von Gabriela Oberkofler, 2010 (vgl. S. 30) zeigt, dass der Gebrauch dieses Materials für die Künstlerin nicht von ungefähr kommt. Das Holz der handelsüblich eingesetzten Kisten erzählt von einer bis ins Letzte ausgebeuteten Natur in einer gnadenlos normierten und globalisierten Welt. Immer wieder setzt Gabriela Oberkofler die Kisten als verblüffend flexibles Baumaterial ein, nicht zuletzt um als rastlose Akteurin im Zirkus des internationalen Kunstsystems ein Stück Heimat, ein Kondensat ihres Dorfes Jenesien, im Zweifelsfall auf dem Buckel zu tragen und überall aufschlagen zu können. Auch die Roseliebschen Beuten waren ein Ort, der als Wiederbelebung und Besiedlungsmaßnahme im Zeichen der Kunst generell an die weltumspannende Aktualität der Themen Vertreibung, Heimat und Fremde erinnerte.
Im Zuge der Ausstellung Wind zog auf waren die fleißig angeflogenen Kästen zu beobachten. Vom Menschen perfekt betriebene, hochproduktive Kraftwerke. Mit der Biene Maja, die seit Generationen das Bild von den Bienen prägt, oder mit Wilhelm Buschs Bildergeschichte Schnurrdiburr oder die Bienen hatten die eher unheimlichen Wohnblöcke wenig zu tun, zumal schon Wilhelm Busch als passionierter Imker das Verschwinden des malerischen Strohbienenkorbs bedauerte. Für ihn waren sie ein Bild für ein „altes, würdiges Menschenhaupt, wo die Gedanken ein und ausfliegen.“ 1 Heute entstehen Bienenstöcke in Kastenbauweise. Sie erzählen vom Effizienzstreben bei der Honigerzeugung, und die ungewöhnlich tiefschwarzen Varianten der Delmenhorster Installation wurden unweigerlich zu einem Ort, der über die Ursachen des Bienensterbens nachdenken ließ.2 Dabei fielen die Anflugrampen vor dem Einflugloch jeder Beute in ihrer Doppelfunktion auch als Rampen für die Entsorgung von toten Bienen besonders ins Auge. So wurden die Roseliebschen Beuten auch ein Ort des Gedenkens in einem weiteren Sinne. Der künstlerische Ertrag, den Gabriela Oberkofler mit der Ansiedlung ihrer Black Boxes in der Delmenhorster Graft und mit jeder ihrer atemberaubend detaillierten Zeichnungen einholt, liegt letztendlich in deren Kraft, auf das eigentlich Bedeutsame zu verweisen. Es geht um das, was mit dem normalen Auge nicht zu erfassen ist. „Wir sind die Bienen des Unsichtbaren“, schreibt Rainer Maria Rilke 1925 in einem Brief an seinen polnischen Übersetzer Withold Hulewicz, um damit in besonderer Weise den Künstler zu charakterisieren. „Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenkorb des Unsichtbaren anzuhäufen.“ 3
1 Wilhelm Buch, Umsäuselt von sumsenden Bienen. Schriften zur Imkerei (Erstausgabe 1869), Göttingen, 2016, S. 40.
2 Anlässlich der Finissage von Wind zog auf am 5. Juni 2016 antwortete das Bremer Klangkunstduo Snijot’s Noise Seduction (Christian Bungies / Björn Burkandt) auf die Roseliebschen Beuten mit der Sound-Arbeit Palast der Varroa. Die Varroa-Milbe (lat. varroa destructor) gilt als Hauptursache des weltweit auftretenden massiven Bienensterbens.
3 Rainer Maria Rilke, Briefe in zwei Bänden, hrsg. Von Horst Nalewski, Frankfurt / M., 1991, Bd. 2, S. 376.
Wir sind die Bienen des Unsichtbaren
Annett Reckert
Es ist vor allem die Natur, die Gabriela Oberkofler Stoff für ihre detailreichen Zeichnungen, ihre Objekte, Installationen und Videos bietet. Ein Schaf mit Zaun, ein Pferd, das aus dem Maul blutet, ein halbes Pferd, Rehbeine, Wolf, Katze, Hund. Vögeln gilt ihr Interesse, ebenso all dem, was grünt und blüht und wieder vergeht: ein Trieb, ein Zweig, ein Haufen Samen, ein umgefallener Baum von monströser Gestalt. Geht die Künstlerin ihrer täglichen Atelierarbeit, dem Zeichnen, nach, so stellt sie jedes ihrer Motive innerhalb des Bildgeviertes frei, indem sie einen bemerkenswert großen Anteil des Blattweißes für sich arbeiten lässt. Im Grunde bleibt alles, was Gabriela Oberkofler zeichnet oder auch installativ im Raum präsentiert, ein Fragment. Eine schlüssige Erzählung und jede Form von Idyllisierung bleiben aus. Vielmehr sind es immer wieder Momente des Verlustes, der Gefährdung und der Entfremdung, die in ihren Arbeiten spürbar werden.
Manches Motiv lässt die Südtiroler Herkunft der Künstlerin erahnen, aber wirklich Konkreteres über den Ort, über Tages- und Jahreszeiten ist nicht zu entschlüsseln. Stattdessen bleiben Motive wie das Fenster, die Bank, der Balkon, die Tränke oder die Geranien rätselhafte Embleme, die auf Seiten des Betrachters eine Nervosität des Geistes fordern, der den fehlenden Kontext fantasieren will. Deshalb nur halb (mit Bett), 2016, der Titel einer Installation im so genannten Herrenzimmer der Städtischen Galerie Delmenhorst, Haus Coburg, hat in diesem Sinne programmatischen Charakter (vgl. S. 42).
Insekten schenkt Gabriela Oberkofler von je her besondere Beachtung und damit wendet sie sich im Grunde dem Alltäglichen zu: Insekten sind unsere Balkongäste, sie sitzen auf unserem Kuchenstück, sie wohnen in unseren Schränken, sie schlafen und reisen mit uns und dennoch haben sie ein zweifelhaftes Image. Ihr unstetes Wesen, ihre Zeugungsfreude und ihre unvoreingenommene Teilhabe am Tod – am Zersetzungsprozess alles Lebendigen – erwecken unser Misstrauen.
Gabriela Oberkofler betrachtet alle erdenklichen Kerb- und Krabbeltiere mit großer Faszination und Achtsamkeit. Sie beobachtet sie in ihrem natürlichen Lebensraum, und sie sammelt tote Exemplare: kleine perfekt gebaute Kreaturen, erstarrt zu fadenscheinig schillernden Juwelen, die eine fremde ferne Welt aufblitzen lassen. Lebens- und Todesbejahung liegen nah beieinander im Denken und Schaffen der Künstlerin. Mit ihren Zeichnungen würdigt sie die anonymen Schönheiten. In ihren Installationen bekommen Käfer, Motten, Schmetterlinge oder Schmeißfliegen einen Auftritt, der einem sensiblen Betrachter Anlass zur Konzentration bis hin zur Andacht sein kann. Und nicht zuletzt sind es die Bienen, mit denen sich die Künstlerin immer wieder befasst. Eine prachtvolle Holzbiene gehört in ihre große Sammlung, sie zeichnet Hummeln, Erdhummeln, und immer wieder Honigbienen in verschiedenen Formationen oder allein auf Blüten; jedes einzelne dieser Blätter ist eine behutsame Hommage.
In dem großen, hochformatigen Blatt Bienenschwarm, 2012, gerät Gabriela Oberkoflers leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den Bienen zu einem Meisterstück (vgl. S. 79 – 80). Was dort mittig auf dem Blatt sitzt, erscheint zunächst wie ein ungelenk ausgreifendes Ungetüm. Schwarz und Rot dominieren, dazwischen Gelb, wenig Grün und Violett. Erst aus der Nähe betrachtet entpuppt sich das Gebilde als ein brodelnder Schwarm von abertausenden der schwirrenden Geschöpfe. Für einen Moment kann sich die Assoziation einstellen, die Zeichnerin habe nach einem Blick durch ein Mikroskop das wimmelnde Leben in einer Probe auf dem Objektträger festgehalten, dann wieder ist es, als könne man das Summen und Brummen der Nimmermüden hören: Sie sausen umher, sie kreisen, krabbeln, krallen, sie schwänzeln und tanzen. Mal steigen, mal rauschen sie auf, dann gleiten und stürzen sie herab, sie fallen, zerfallen. Kleine Torsi, Flügel, Beinchen, Teile des ächzenden Pflanzenwerkes hängen und rieseln herunter. Diese verworrenen Verhältnisse machen Gabriela Oberkoflers Bienenschwarm zu einem versponnenen Gewebe, zu einem Funken sprühenden Höllensturz. Dabei ist jede kleine Einzelform wie auch das Gesamt aus einer Unzahl von winzigen Filzstiftstrichen und -punkten erschaffen. Eine lineare Fassung der Dinge, die Kontur, spielt kaum eine Rolle, und so franst der Bienenschwarm wie viele andere Motive, die die Künstlerin in die Weite ihrer Blätter setzt, in der Peripherie schwindsüchtig aus. Der Eindruck des Flüchtigen und Instabilen entsteht; alles ist in Auflösung begriffen.
Die Künstlerin zeichnet einen Bienenschwarm, der seine Behausung, seinen Bienenstock, verlassen hat. Ein Naturschauspiel, das sich häufig im späten Frühjahr einstellt. Ein Schwarm folgt einer Königin, legt unweit des Mutterstockes eine Ruhepause ein, während so genannte Spurbienen eine neue, geeignete Nisthöhle auskundschaften. Geht es um diese aufgeladene Phase des Übergangs, legt es die Zeichnung nahe, über das Homonym „schwärmen“ nachzudenken. Schließlich liefert der kollektive Auszug der Tiere, deren Unruhe und Erregung, das anschauliche Bild für unseren Begriff des Schwärmens. Wer schwärmt, der ist unbeirrbar fokussiert und hingerissen. Geht es um das obsessive Zeichnen, mit dem sich Gabriela Oberkofler ihre Naturstücke aneignet, so ist sie einerseits eine Künstlerin, die schwärmt. Mit Stift und Pinsel denkend geht sie in ihrem Sujet auf. Andererseits entkommt sie der Gefahr einer haltlos verklärenden Darstellung, indem sie zwischen ihrer Naturwahrnehmung und ihrer zeichnerischen Chiffre – ihren Punktierungen, Strichen und Kürzeln – interpoliert. Noch dazu wendet sie sich dem Gegenstand ihrer Betrachtung auch mit anderen Medien zu. In ihrer Video-Doppelprojektion mit dem Titel Bienenflug, Baum, rosa Blüte, Baum, weiße Blüte, 2013, (vgl. S. 44 – 48) setzt sie zwei Kameras als rastlos bewegte Sucher ein, um so einen Wechsel in die Rolle der Nektar und Pollen sammelnden Tiere anzudeuten. Bienenflug ist der Versuch unserer anthropozentrischen Weltsicht zu entkommen. Der Betrachter taucht in ein weißes und rosafarbenes Schlaraffenland ein. Allerdings lässt das nervöse Vor und Zurück der Kamera, lassen Wackler und Schwenks, wechselnde Fokussierungen und Unschärfen wie auch der harsche rhythmisierte Bienen-Sound das Paradies als unerwartet strapaziös erscheinen. Die Videoarbeit mit dem Titel Mr. Nobel,2016, ist ein ruhiger, wehmütig stimmender Gegenpol zu dieser Arbeit (vgl. S. 1 – 6). Zu beobachten ist das nächtliche Dasein eines vom Alter schwer gezeichneten Hundes, der dennoch würdevoll und selbstverständlich im Dunkel der Nacht seine Runden zieht. Wie und was er wahrnimmt, was ihn umtreibt, bleibt im Verborgenen. Niemals wird es ein Verstehen geben. Taucht Gabriela Oberkofler oft mit extrem konzentrierten und detailverliebten Arbeiten zutiefst in ihre Naturstücke ein, gibt es in ihrem Schaffen auch sezierend-analysierende Arbeiten (vgl. Latschenkiefer, 2016) und solche, die als rein beobachtende filmische Meditation dastehen und damit den in seinen Interpretationsmustern gefangenen Menschen mit dem Geheimnis tierischer Existenz alleine lassen.
Was speziell die Bienen betrifft, ließe sich eine Kunstgeschichte beginnend bei frühen Höhlenzeichnungen, bei den Bienen der Barberini bis zu Joseph Beuys oder Rosemarie Trockel / Carsten Höller, Ren Ri oder Pierre Huyghe zeichnen. Das gleiche gilt für eine im Grunde die Menschheitsgeschichte begleitende Forschung: Die Organisation der Bienen in Völkern, ihre präzise Tätigkeit als architektonische Geometer, ihre Orientierung und Kommunikation, ihre Gabe der Verwandlung, die letztlich den Honig entstehen lässt, und ihre bedrohte Rolle in unserem Ökosystem wurden und werden untersucht. Aber bei all dem bleibt immer ein Hauch Mysterium, das in früheren Zeiten der Honigjäger und heute der Imker verkörpert. Er ist und bleibt eine von Mythen umrankte Figur.
Die Vorbereitungen für die Ausstellung Wind zog auf in der Städtischen Galerie Delmenhorst spielten dem Projekt den Imker Uwe Roselieb zu und so wurde die bis dahin rein der Kunstbetrachtung unterzogene Zeichnung Bienenschwarm zu einem Appell, der dazu aufforderte, nach einem klassischen Ausstellungsrund-gang in den Räumen der Galerie in die Delmenhorster Graft auszuziehen. Dort erwartete die Besucher ein Trabant der Ausstellung inmitten einer wunderschönen, aber bedrohten Parkanlage. Durch fachliche und politische Fehlentscheidungen steigt in diesem Stadtpark seit 2011 der Grundwasserspiegel. Von einem dramatischen Baumsterben war der für die Bedrängnisse der Natur so empfindsamen Künstlerin zu berichten. Das Wandbild mit dem Titel Graft-Wasserstand, 2016 (vgl. S. 33), die partizipatorisch angelegte Installation Aus der Graft,2016 (vgl. S. 34 – 35) und die von einer leisen und schleichenden Gefährdung des Parks inspirierte Zeichnung Blätter, 2016 (vgl. S. 66– 69) setzten in der Ausstellung Wind zog auf dem Park und den rund 1000 ertrunkenen Bäumen ein Denkmal.
Indem die Gunst der Stunde den Bienenexperten und die Künstlerin zusammenführte, kam es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit und damit zu einer Installation, die dem Imker zu Ehren den Titel Roseliebsche Beuten trug (vgl. S. 25 – 26, 38 – 39): eine skulpturale Setzung in einem Kleingarten inmitten des Parks und eine tatsächlich betriebene Honigproduktion zugleich. Aus-gerichtet zur Sonne waren acht tiefschwarz umkleidete Bienen-beuten in einem Halbrund angeordnet, jeweils mit einem üppig bepflanzten kleinen Blumenkasten auf dem Dach. Ein betont reduziertes klares Konzept, das an einen Versuchsaufbau gleichermaßen erinnerte wie auch an die Ästhetik einfacher Siedlungsformen oder einer archaischen Kultstätte. Sowohl die Verschalung als auch die Blumenkästen waren aus eingefärbten Versatzstücken gewöhnlicher Obstkisten zusammengezimmert. Ein Blick auf die Arbeit Buggelkraxen von Gabriela Oberkofler, 2010 (vgl. S. 30) zeigt, dass der Gebrauch dieses Materials für die Künstlerin nicht von ungefähr kommt. Das Holz der handelsüblich eingesetzten Kisten erzählt von einer bis ins Letzte ausgebeuteten Natur in einer gnadenlos normierten und globalisierten Welt. Immer wieder setzt Gabriela Oberkofler die Kisten als verblüffend flexibles Baumaterial ein, nicht zuletzt um als rastlose Akteurin im Zirkus des internationalen Kunstsystems ein Stück Heimat, ein Kondensat ihres Dorfes Jenesien, im Zweifelsfall auf dem Buckel zu tragen und überall aufschlagen zu können. Auch die Roseliebschen Beuten waren ein Ort, der als Wiederbelebung und Besiedlungsmaßnahme im Zeichen der Kunst generell an die weltumspannende Aktualität der Themen Vertreibung, Heimat und Fremde erinnerte.
Im Zuge der Ausstellung Wind zog auf waren die fleißig angeflogenen Kästen zu beobachten. Vom Menschen perfekt betriebene, hochproduktive Kraftwerke. Mit der Biene Maja, die seit Generationen das Bild von den Bienen prägt, oder mit Wilhelm Buschs Bildergeschichte Schnurrdiburr oder die Bienen hatten die eher unheimlichen Wohnblöcke wenig zu tun, zumal schon Wilhelm Busch als passionierter Imker das Verschwinden des malerischen Strohbienenkorbs bedauerte. Für ihn waren sie ein Bild für ein „altes, würdiges Menschenhaupt, wo die Gedanken ein und ausfliegen.“ 1 Heute entstehen Bienenstöcke in Kastenbauweise. Sie erzählen vom Effizienzstreben bei der Honigerzeugung, und die ungewöhnlich tiefschwarzen Varianten der Delmenhorster Installation wurden unweigerlich zu einem Ort, der über die Ursachen des Bienensterbens nachdenken ließ.2 Dabei fielen die Anflugrampen vor dem Einflugloch jeder Beute in ihrer Doppelfunktion auch als Rampen für die Entsorgung von toten Bienen besonders ins Auge. So wurden die Roseliebschen Beuten auch ein Ort des Gedenkens in einem weiteren Sinne. Der künstlerische Ertrag, den Gabriela Oberkofler mit der Ansiedlung ihrer Black Boxes in der Delmenhorster Graft und mit jeder ihrer atemberaubend detaillierten Zeichnungen einholt, liegt letztendlich in deren Kraft, auf das eigentlich Bedeutsame zu verweisen. Es geht um das, was mit dem normalen Auge nicht zu erfassen ist. „Wir sind die Bienen des Unsichtbaren“, schreibt Rainer Maria Rilke 1925 in einem Brief an seinen polnischen Übersetzer Withold Hulewicz, um damit in besonderer Weise den Künstler zu charakterisieren. „Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenkorb des Unsichtbaren anzuhäufen.“ 3
1 Wilhelm Buch, Umsäuselt von sumsenden Bienen. Schriften zur Imkerei (Erstausgabe 1869), Göttingen, 2016, S. 40.
2 Anlässlich der Finissage von Wind zog auf am 5. Juni 2016 antwortete das Bremer Klangkunstduo Snijot’s Noise Seduction (Christian Bungies / Björn Burkandt) auf die Roseliebschen Beuten mit der Sound-Arbeit Palast der Varroa. Die Varroa-Milbe (lat. varroa destructor) gilt als Hauptursache des weltweit auftretenden massiven Bienensterbens.
3 Rainer Maria Rilke, Briefe in zwei Bänden, hrsg. Von Horst Nalewski, Frankfurt / M., 1991, Bd. 2, S. 376.