Mein schwäbisches Ich?
MEIN SCHWÄBISCHES ICH?
„Jede [Kultur] ist eine mehr oder weniger dauerhafte Richtung, ein Gebaren, eine Wendung, eine Konfiguration, die dem verliehen wird, was an sich keine Figur hat, sondern dessen Umriss, dessen Zeichnung einen neuen Aspekt freilegt.“ (Jean-Luc Nancy: Identität, Wien 2010, S. 65)
Gabriela Oberkofler nähert sich der Frage nach dem zeitgenössischen schwäbischen Ich, indem sie an sechs individuellen Geschichten von Schwäbinnen und Schwaben mit türkischen Wurzeln zeigt, wie sich Kulturen und Identitäten gegenseitig ergänzen.
Die Installationen der gebürtigen Südtirolerin, die seit über 15 Jahren in Stuttgart lebt, kombinieren daher, ausgehend von intensiven Gesprächen zwischen ihr und sechs Mitgliedern des Deutsch-Türkischen Forums, persönliche Gegenstände, Zeichnungen und Animationen mit historischen Objekten des Landesmuseums und Archivmaterialien zu subtilen Abbildern von unterschiedlichen Persönlichkeiten. Sie dekonstruiert das schwäbische Ich, indem sie Privates und Individuelles gegen Stereotype und Klischees stellt.
FÜR ERGUN CAN: FASNACHT
Fasnachtsmasken (handgeschnitzt von Ergun Can), Tapete mit Zeichnungen nach Votivfiguren aus der Sammlung des Volkskundemuseums Innsbruck
Ali Ergun Can wurde 1958 in Istanbul geboren. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker studierte er Maschinenbau und lebt und arbeitet nun in Stuttgart. Er zog mit seiner Familie als Fünfjähriger aus Istanbul in ein Dorf im Schwarzwald. Schon als Teenager beginnt er sich für die traditionelle schwäbische Fasnacht zu interessieren – besonders für die handgeschnitzten Masken und lernt diese zu schnitzen. Ergun Can ist der einzige muslimische Larvenschnitzer.
Gabriela Oberkofler stellt ausgewählte, von Ergun Can gefertigte Masken aus dem Schwarzwald einer Tapete mit eigenen Zeichnungen von Votivfiguren aus Tirol und Südtirol gegenüber.
FÜR FUNDA DOGHAN: SCHMETTERLING
Katzenspielzeug von Funda Doghan, Votivfiguren aus dem Landesmuseum Württemberg,
Zeichnung Gefädelte Schmetterlinge, 2016, Aquarell auf Papier, 80 × 80 cm
Schwäbisch kam mir immer so grob an die Ohren, erinnert sich die 1984 in Ulm geborene Journalistin. Das Katzenspielzeug in der Vitrine nennt Funda Doghan dennoch Mäusle, ihr gefällt das Spielerische an den Verniedlichungen im Schwäbischen. Für den Wandel in Bezug auf ihre Heimat steht ihr Seelentier: der Schmetterling, der sich entpuppen kann und Flügel bekommt. Als Symbol der Hoffnung und Leichtigkeit ist er zweifach präsent: ein in der Türkei beheimateter Schmetterling und einer aus dem süddeutschen Raum. Die Freiheit bedeutet aber immer auch Loslösung von den Fäden, an welchen die beiden Schmetterlinge noch hängen.
KETTE
Zeichnung Gebetskette, 2016, Aquarell auf Papier, 80 × 80 cm,
Fraiskette aus Tierknochen, Rosenkranz mit Anhänger (2. Hälfte 18. Jahrhundert)
Zeichnung Blaue Blume, 2015, Aquarell auf Papier, 21 × 15 cm
Gabriela Oberkofler verknüpft in ihrer Installation christliche und muslimische Gebetsketten – in beiden Religionen werden diese für meditative Andachten gebraucht.
FÜR MEHMET SOYLU: WANDERN
Krippenfiguren (Krippentiere aus Süddeutschland und Tirol, 18. und 19. Jahrhundert),
Schale (Susanne Goldbach, Landesmuseum Württemberg),
Keramikpaprika (Gabriela Oberkofler),
Holzrahmen (Landesmuseum),
Holzschatulle mit Pferdezahn aus Südtirol,
Zeichnungen Für Mehmet, 2016, Aquarell auf Papier, unterschiedliche Formate,
Zeichnung Tränenteppich, 2015, Aquarell auf Papier, 21 × 30 cm,
Familien-Fotografien von Mehmet Soylu, Stuttgart,
Schwäbische Alb und Antakya, Anatolien,
Fotografien aus Württemberg zwischen 1910 und 1960
(Landesstelle für Volkskunde / Landesmuseum Württemberg) und
Fotografien der Familie Yilmaz zwischen 1940 und 1960,
Istanbul / Eskisehir / Dogancayir, Zentralanatolien
Wandern bedeutet dem Informatiker mehr, als nur seine Heimat besser kennenzulernen. Für Mehmet Soylu, der 1952 in Eregli in der Türkei geboren wurde, bietet die deutsch-türkische Wandergruppe, die er 2005 ins Leben rief, die Möglichkeit zu einem Austausch zwischen den Kulturen. Über mehrere Vitrinen inszeniert Gabriela Oberkofler eine Installation zur Fragestellung, wie wir das ländliche Umfeld wahrnehmen und wie dies durch den kulturellen Kontext geprägt wird: Sie kombiniert Familienfotos der Soylus und eine gefüllte Paprika, ein Gericht, das Mehmet Soylu gerne kocht. Sofort fällt auf, wie universell die vermeintlich unterschiedlichen Kulturen sind, man denkt an das belohnende Einkehren nach dem Wandern, an Kindheit und Natur. Die Krippenfiguren wurden aus ihrem christlichen Kontext gelöst und werden von Gabriela Oberkofler auf die Suche nach einem besseren Leben geschickt – als Symbol für die Migrationsgesellschaft.
FÜR GÖNÜL NOWACK-ÇELIKIZ: PIANO
Klavier, Tapete mit Zeichnungen aus der Serie Alles Wieder Zurück (2014)
In ihrer Liebe zur Musik verbindet Gönül Nowack-Çelikiz verschiedene Kulturen – sie spielt türkische Protestlieder genauso wie Auf der schwäb’schen Eisenbahn. Die 1943 in Istanbul geborene Pianistin wohnt schon lange in Esslingen und gibt dort Klavierunterricht an der Musikschule und tritt selbst als Konzertpianistin auf. Vor der Tapete, die mit Gabriela Oberkoflers Zeichnungen bedruckt ist, spielt Gönül Nowack-Çelikiz in der Ausstellung an mehreren Terminen Lieder unterschiedlicher Herkunft.
Ein Projekt im Rahmen der Grossen Landesausstellung Die Schwaben: zwischen Mythos und Marke.
Text: Birgit Gebhard und Maximilian Lehner
Unter- und Überwege, 2016, 13 Zeichnungen, Aquarell auf Papier, 20 × 30 cm
FÜR BERKAY YILMAZ: FLIEGEN, 2016, Videoinstallation, 2:11 Minuten
Film (Filmsequenzen: Berkay Yilmaz, Zeichnung: Gabriela Oberkofler und Julius Nägele, Animation: Fuzzy (Martin Härtlein), Schnitt: Sarah Beekmann und Fuzzy)
Berkay Yilmaz wurde 1991 in Pforzheim geboren und studiert Luft- und Raumfahrttechnik im Master an der Universität Stuttgart. In seiner Freizeit fliegt er leidenschaftlich Segelflugzeug: Fliegen verbindet er eng mit seiner schwäbischen Heimat und dem technik-affinen schwäbischen Tüftlergeist – aber auch mit der Erfüllung der Sehnsucht, die eigene Umgebung aus einer gewissen Distanz von oben zu sehen. Gabriela Oberkofler erweiterte die Filmaufnahmen, die Berkay Yilmaz von der von ihm überflogenen Landschaft der schwäbischen Alb dreht, um Sequenzen ihrer animierten Zeichnungen, die das Fliegen traumhaft-assoziativ verbildlichen.
Mein schwäbisches Ich?
MEIN SCHWÄBISCHES ICH?
„Jede [Kultur] ist eine mehr oder weniger dauerhafte Richtung, ein Gebaren, eine Wendung, eine Konfiguration, die dem verliehen wird, was an sich keine Figur hat, sondern dessen Umriss, dessen Zeichnung einen neuen Aspekt freilegt.“ (Jean-Luc Nancy: Identität, Wien 2010, S. 65)
Gabriela Oberkofler nähert sich der Frage nach dem zeitgenössischen schwäbischen Ich, indem sie an sechs individuellen Geschichten von Schwäbinnen und Schwaben mit türkischen Wurzeln zeigt, wie sich Kulturen und Identitäten gegenseitig ergänzen.
Die Installationen der gebürtigen Südtirolerin, die seit über 15 Jahren in Stuttgart lebt, kombinieren daher, ausgehend von intensiven Gesprächen zwischen ihr und sechs Mitgliedern des Deutsch-Türkischen Forums, persönliche Gegenstände, Zeichnungen und Animationen mit historischen Objekten des Landesmuseums und Archivmaterialien zu subtilen Abbildern von unterschiedlichen Persönlichkeiten. Sie dekonstruiert das schwäbische Ich, indem sie Privates und Individuelles gegen Stereotype und Klischees stellt.
FÜR ERGUN CAN: FASNACHT
Fasnachtsmasken (handgeschnitzt von Ergun Can), Tapete mit Zeichnungen nach Votivfiguren aus der Sammlung des Volkskundemuseums Innsbruck
Ali Ergun Can wurde 1958 in Istanbul geboren. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker studierte er Maschinenbau und lebt und arbeitet nun in Stuttgart. Er zog mit seiner Familie als Fünfjähriger aus Istanbul in ein Dorf im Schwarzwald. Schon als Teenager beginnt er sich für die traditionelle schwäbische Fasnacht zu interessieren – besonders für die handgeschnitzten Masken und lernt diese zu schnitzen. Ergun Can ist der einzige muslimische Larvenschnitzer.
Gabriela Oberkofler stellt ausgewählte, von Ergun Can gefertigte Masken aus dem Schwarzwald einer Tapete mit eigenen Zeichnungen von Votivfiguren aus Tirol und Südtirol gegenüber.
FÜR FUNDA DOGHAN: SCHMETTERLING
Katzenspielzeug von Funda Doghan, Votivfiguren aus dem Landesmuseum Württemberg,
Zeichnung Gefädelte Schmetterlinge, 2016, Aquarell auf Papier, 80 × 80 cm
Schwäbisch kam mir immer so grob an die Ohren, erinnert sich die 1984 in Ulm geborene Journalistin. Das Katzenspielzeug in der Vitrine nennt Funda Doghan dennoch Mäusle, ihr gefällt das Spielerische an den Verniedlichungen im Schwäbischen. Für den Wandel in Bezug auf ihre Heimat steht ihr Seelentier: der Schmetterling, der sich entpuppen kann und Flügel bekommt. Als Symbol der Hoffnung und Leichtigkeit ist er zweifach präsent: ein in der Türkei beheimateter Schmetterling und einer aus dem süddeutschen Raum. Die Freiheit bedeutet aber immer auch Loslösung von den Fäden, an welchen die beiden Schmetterlinge noch hängen.
KETTE
Zeichnung Gebetskette, 2016, Aquarell auf Papier, 80 × 80 cm,
Fraiskette aus Tierknochen, Rosenkranz mit Anhänger (2. Hälfte 18. Jahrhundert)
Zeichnung Blaue Blume, 2015, Aquarell auf Papier, 21 × 15 cm
Gabriela Oberkofler verknüpft in ihrer Installation christliche und muslimische Gebetsketten – in beiden Religionen werden diese für meditative Andachten gebraucht.
FÜR MEHMET SOYLU: WANDERN
Krippenfiguren (Krippentiere aus Süddeutschland und Tirol, 18. und 19. Jahrhundert),
Schale (Susanne Goldbach, Landesmuseum Württemberg),
Keramikpaprika (Gabriela Oberkofler),
Holzrahmen (Landesmuseum),
Holzschatulle mit Pferdezahn aus Südtirol,
Zeichnungen Für Mehmet, 2016, Aquarell auf Papier, unterschiedliche Formate,
Zeichnung Tränenteppich, 2015, Aquarell auf Papier, 21 × 30 cm,
Familien-Fotografien von Mehmet Soylu, Stuttgart,
Schwäbische Alb und Antakya, Anatolien,
Fotografien aus Württemberg zwischen 1910 und 1960
(Landesstelle für Volkskunde / Landesmuseum Württemberg) und
Fotografien der Familie Yilmaz zwischen 1940 und 1960,
Istanbul / Eskisehir / Dogancayir, Zentralanatolien
Wandern bedeutet dem Informatiker mehr, als nur seine Heimat besser kennenzulernen. Für Mehmet Soylu, der 1952 in Eregli in der Türkei geboren wurde, bietet die deutsch-türkische Wandergruppe, die er 2005 ins Leben rief, die Möglichkeit zu einem Austausch zwischen den Kulturen. Über mehrere Vitrinen inszeniert Gabriela Oberkofler eine Installation zur Fragestellung, wie wir das ländliche Umfeld wahrnehmen und wie dies durch den kulturellen Kontext geprägt wird: Sie kombiniert Familienfotos der Soylus und eine gefüllte Paprika, ein Gericht, das Mehmet Soylu gerne kocht. Sofort fällt auf, wie universell die vermeintlich unterschiedlichen Kulturen sind, man denkt an das belohnende Einkehren nach dem Wandern, an Kindheit und Natur. Die Krippenfiguren wurden aus ihrem christlichen Kontext gelöst und werden von Gabriela Oberkofler auf die Suche nach einem besseren Leben geschickt – als Symbol für die Migrationsgesellschaft.
FÜR GÖNÜL NOWACK-ÇELIKIZ: PIANO
Klavier, Tapete mit Zeichnungen aus der Serie Alles Wieder Zurück (2014)
In ihrer Liebe zur Musik verbindet Gönül Nowack-Çelikiz verschiedene Kulturen – sie spielt türkische Protestlieder genauso wie Auf der schwäb’schen Eisenbahn. Die 1943 in Istanbul geborene Pianistin wohnt schon lange in Esslingen und gibt dort Klavierunterricht an der Musikschule und tritt selbst als Konzertpianistin auf. Vor der Tapete, die mit Gabriela Oberkoflers Zeichnungen bedruckt ist, spielt Gönül Nowack-Çelikiz in der Ausstellung an mehreren Terminen Lieder unterschiedlicher Herkunft.
Ein Projekt im Rahmen der Grossen Landesausstellung Die Schwaben: zwischen Mythos und Marke.
Text: Birgit Gebhard und Maximilian Lehner
Unter- und Überwege, 2016, 13 Zeichnungen, Aquarell auf Papier, 20 × 30 cm
FÜR BERKAY YILMAZ: FLIEGEN, 2016, Videoinstallation, 2:11 Minuten
Film (Filmsequenzen: Berkay Yilmaz, Zeichnung: Gabriela Oberkofler und Julius Nägele, Animation: Fuzzy (Martin Härtlein), Schnitt: Sarah Beekmann und Fuzzy)
Berkay Yilmaz wurde 1991 in Pforzheim geboren und studiert Luft- und Raumfahrttechnik im Master an der Universität Stuttgart. In seiner Freizeit fliegt er leidenschaftlich Segelflugzeug: Fliegen verbindet er eng mit seiner schwäbischen Heimat und dem technik-affinen schwäbischen Tüftlergeist – aber auch mit der Erfüllung der Sehnsucht, die eigene Umgebung aus einer gewissen Distanz von oben zu sehen. Gabriela Oberkofler erweiterte die Filmaufnahmen, die Berkay Yilmaz von der von ihm überflogenen Landschaft der schwäbischen Alb dreht, um Sequenzen ihrer animierten Zeichnungen, die das Fliegen traumhaft-assoziativ verbildlichen.